Sanktionen gegen Italien seien zwar möglich, doch er werde sich um einen Dialog mit der Regierung in Rom bemühen, sagte der EU-Kommissar. Es sei jedenfalls damit zu rechnen, dass mit dem Ende der Austeritätspolitik das strukturelle Defizit Italiens weiterhin wachsen werde, so Moscovici im Interview mit dem französischen TV-Sender BFM am Freitag. Der Franzose mahnte, es liege in Italiens Interesse, sich nicht noch mehr zu verschulden. "Ein Land, das sich verschuldet, verarmt", sagte Moscovici.
Die italienischen Regierungsparteien und Wirtschafts- und Finanzminister Giovanni Tria verständigten sich am Donnerstagabend auf ein Defizitziel für 2019 bis 2021 in Höhe von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) - so wie es die populistische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Lega gefordert hatten. Der parteilose Tria konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Er hatte sich für ein Defizitziel von unter zwei Prozent starkgemacht.
Die italienische Regierung verteidigte ihren Budgetentwurf. "Wir sind entschlossen, unsere Schulden zurückzuzahlen", versicherte Fünf Sterne-Chef und Vizepremier Luigi Di Maio. Im Rahmen des Haushaltsgesetzes sollen 15 Milliarden Euro für zusätzliche öffentliche Investitionen locker gemacht werden. Dies werde Italiens Wirtschaftswachstum ankurbeln. Zugleich werde die Regierung mit der Einführung einer Mindestsicherung und mit höheren Pensionen den einkommensschwachen Italienern unter die Arme greifen können. Italien wolle mit Brüssel jedenfalls nicht auf Konfrontationskurs gehen, sagte Di Maio.
"Wir haben einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht. Die Finanzmärkte werden sich damit abfinden. Sie werden begreifen, dass wir für das Wohl Italiens arbeiten. Das Recht der Italiener auf Beschäftigung und Gesundheit ist uns wichtiger als die Drohungen aus Brüssel", meinte Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini im Gespräch mit Journalisten am Freitag. Er dementierte Spannungen mit dem parteilosen Wirtschaftsminister Giovanni Tria, der laut Medienindiskretionen mit seinem Rücktritt gedroht hatte, um ein niedrigeres Defizitziel durchzusetzen. "Tria war nie auf der Kippe", versicherte Salvini.
EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani meinte, man müsse die Regierung im Interesse der Italiener stoppen. Die oppositionelle Forza Italia, der Tajani angehört, betonte, Italien werde einen sehr hohen Preis für die "verantwortungslose" wirtschaftspolitische Linie des populistischen Kabinetts in Rom zahlen.
Die sozialdemokratische PD (Demokratische Partei) rief zu einer Protestkundgebung gegen die Regierung auf. Diese habe mit der Festsetzung der neuen Defizitziele gezeigt, wie "verantwortungslos" sie sei, sagte PD-Chef Maurizio Martina. "Diese Regierung bringt Italien in Gefahr", so Martina im Interview mit dem Radiosender Radio Capital. Er rief die Italiener zu einer massiven Beteiligung an einer am Sonntagnachmittag geplanten Protestkundgebung gegen das Kabinett. Es handelt sich um die erste Demonstration gegen die Regierung seit deren Amtsantritt vor drei Monaten.
Kritik musste die Regierung von Ex-Wirtschaftsminister Pier Carlo Padoan hinnehmen. "Die Schäden, die diese Regierung anrichtet, sind schon spürbar. Die Zinssätze steigen, die Aktienkurse sinken", so Padoan.
Nach der Polemik um die Budgetpläne versucht indes Italiens Premier, Giuseppe Conte, die Wogen zu glätten. Die im Haushaltsentwurf enthaltenen Maßnahmen würden zum Wirtschaftswachstum Italiens beitragen, versicherte der Regierungschef. "Wir wollen die Staatsschuld mittels Wachstum abbauen", sagte Conte bei einer Pressekonferenz am Freitag.
Conte dementierte Spannungen mit Wirtschaftsminister Tria, der als Garant für Finanzdisziplin gilt. Der parteiunabhängige Minister hatte sich für ein niedrigeres Defizit im kommenden Jahr eingesetzt, war mit seinem Anliegen jedoch am Widerstand der Regierungsparteien Lega und Fünf Sterne-Bewegung gescheitert. Conte widersprach Medienangaben, nach denen Tria seinen Rücktritt einreichen wollte. "Tria und die Regierung werden bis Ende der Legislaturperiode 2023 im Amt bleiben", ´versicherte Conte.