Seit Wochen kommt Italien nicht zur Ruhe. Im Gegenteil, die Proteste gegen den sogenannten Green Pass nehmen weiter zu. Einen neuen, vorläufigen Höhepunkt erreichten sie an diesem Freitag, an dem eine umstrittene neue Regel in Kraft trat. Jeder Beschäftigte, sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Bereich, muss nun nachweisen, geimpft, genesen oder negativ getestet zu sein.
Die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi hatte diese 3-G-Pflicht am Arbeitsplatz vor einem Monat beschlossen, um mehr Menschen zur Impfung zu bewegen. Rund 85 Prozent der Italiener ab zwölf Jahren sind mindestens ein Mal geimpft. Für die Übrigen wird es indes schwieriger, den Nachweis zu erbringen. Denn wer nicht geimpft oder genesen ist, muss die Kosten für Corona-Schnelltests mit einer Gültigkeit von 48 Stunden selbst tragen.
"Wir haben die Regierung gebeten, die Test-Preise stark zu drücken", berichtete diese Woche zwar der Chef des zweitstärksten italienischen Gewerkschaftsverbands CISL, Luigi Sbarra. Premier Mario Draghi habe geantwortet, dass die Regierung bei einer Ministerratsitzung in den kommenden Tagen über mögliche Schritte in diese Richtung entscheiden werde. Eine Zusage dafür gab es bislang aber nicht. Die Regierung will zumindest Unternehmen, die ihren Mitarbeitern die Coronatests bezahlen wollen, Steuerbegünstigungen geben.
Problematisch sind aber nicht nur die Kosten, sondern auch die Testkapazitäten. Fachleute der unabhängigen Stiftung Gimbe gehen davon aus, dass 3,8 Millionen italienische Arbeitnehmer nicht geimpft sind. Sie warnen vor Chaos wegen des erwarteten Ansturms von Arbeitnehmern auf Teststationen. Die Stiftung bezifferte den Bedarf an Schnelltests in Italien auf 11,5 Millionen pro Woche. Das liege weit über den 1,2 Millionen Tests, die noch in der Woche zwischen dem 6. und dem 12. Oktober durchgeführt wurden.
Schon am Freitag kam es in einigen Städten zu langen Schlangen vor Teststellen - und zu weiteren Demonstrationen gegen die 3-G-Pflicht, vor allem in italienischen Häfen. Tausende Menschen versammelten sich etwa schon am frühen Morgen im Hafen von Triest, um den Protest der dortigen Hafenmitarbeiter zu unterstützen.
40 Prozent der Hafenmitarbeiter in Italien sind nicht geimpft. "Wer diese 3-G-Pflicht eingeführt hat, hat keine blasse Ahnung, wie die Arbeit in einem Hafen abläuft", betonte Stefano Puzzer, Anführer der Triester Hafenmitarbeiter. Viele Arbeiter auf den Schiffen kommen aus Osteuropa. Viele von ihnen sind ungeimpft, andere wurden mit Vakzinen geimpft, die in der EU nicht zugelassen sind, und können daher keinen Grünen Pass vorweisen. Dasselbe gilt für Tausende ausländische Lastwagenfahrer.
Zu Protestaktionen kam es auch vor dem Hafen in Genua. Einer der drei Zugänge zum Hafen wurde von streikenden Mitarbeitern blockiert. Demonstranten skandierten Slogans wie "Freiheit, Freiheit!" und "Hände weg von unserer Arbeit!". Die Verkehrsachse, die zum Hafen führt, wurde blockiert. Proteste gab es auch in den Adria-Häfen von Ancona und Ravenna.
Auch im Produktionswerk des Elektrogeräteherstellers Electrolux unweit der norditalienischen Stadt Treviso wurde gegen die 3-G-Pflicht gestreikt. Rund 20 Prozent der 1100 Mitarbeiter sind nicht geimpft. Arbeitnehmer der Mailänder Nahverkehrsgesellschaft ATM ohne Grünen Pass blieben der Arbeit fern.
Nicht nur in Betrieben wurde protestiert. In vielen Städten fanden erneut Demonstrationen gegen die 3-G-Pflicht statt, unter anderem in Rom, Mailand, Trient.