Gut fünf Wochen vor dem geplanten Brexit am 29. März hatten sich am Montag in Brüssel erneut die Chefunterhändler beider Seiten getroffen. Der britische Brexit-Minister Stephen Barclay sprach danach von "produktiven Gesprächen" mit seinem EU-Gegenüber Michel Barnier. Über Fortschritte wurde nichts bekannt.
Das britische Unterhaus hatte das mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen Mitte Jänner klar abgelehnt und Nachbesserungen gefordert. Dies lehnt die EU ab und bietet lediglich weitere Zusicherungen in einer begleitenden politischen Erklärung zu den künftigen Beziehungen an. Ohne Einigung droht Ende März ein "harter Brexit" ohne Abkommen mit weitreichenden Folgen für Bürger und Wirtschaft.
Hauptproblem ist eine Auffanglösung für Nordirland. Sie soll eine "harte Grenze" mit Kontrollen zu Irland und ein Wiederaufflammen des blutigen Nordirland-Konflikts verhindern. Nach dem sogenannten Backstop würde das Vereinigte Königreich bis auf weiteres in einer Zollunion mit der EU bleiben, falls nach Ablauf der Übergangsphase keine andere Vereinbarung getroffen wird. Dies lehnen die Brexit-Hardliner in Großbritannien strikt ab, weil London dann keine eigenen Handelsabkommen schließen könnte. Sie fordern eine zeitliche Befristung oder eine Ausstiegsklausel, die rechtsverbindlich festgeschrieben werden.
Der irische Vize-Premierminister Simon Coveney hält die Iren dazu an, vor dem Brexit keine Medikamente zu horten. Irland habe Medikamente für mindestens acht Wochen nach dem Austrittsdatum auf Vorrat. "Die Hamsterkäufe selbst können zu Problemen in der Versorgung führen", sagte Coveney in Dublin. Trotz seiner großen Pharmaindustrie bezieht Irland viele Medikamente aus Großbritannien. Verbraucher fürchten, dass einige dieser Medikamente nicht mehr in der EU zulässig sein könnten, wenn Großbritannien die Union ohne Abkommen verlässt.
"Wir können keine zeitliche Begrenzung für die Auffanglösung oder eine einseitige Ausstiegsklausel akzeptieren", sagte der Kommissionssprecher. Die Gespräche diese Woche zielten auf eine Lösung, die "breitest mögliche Unterstützung" im Unterhaus erhalte.
Brexit-Minister Barclay war am Montag von Geoffrey Cox, dem obersten Rechtsberater der Londoner Regierung, begleitet worden. Cox soll am Dienstag in einer Rede die aus britischer Sicht nötigen rechtlichen Nachbesserungen an der Nordirland-Lösung im Detail darlegen.
"Dringend" nötig seien "realistische Vorschläge, welche die britische Regierung auf den Tisch zu legen hat", sagte der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth in Brüssel am Dienstag bei Beratungen mit seinen Amtskollegen. Es bringe bei der Nordirland-Frage nichts, Forderungen zu stellen, "die für uns völlig inakzeptabel sind".
"Welche anderen Möglichkeit es da (zum ausverhandelten Backstop, Anm.) geben sollte als die, die wir gefunden haben in jahre- und monatelangen Verhandlungen, ist mir schleierhaft", sagte EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) vor den Beratungen. Auch Blümel forderte die Briten auf, ihre Vorstellungen vorzulegen. "Es kann nicht so sein, dass wir einfach so etwas aufmachen, was eigentlich schon verhandelt worden ist."
Der britische Brexit-Staatsminister Martin Callanan schloss einen Austritt ohne Abkommen nicht aus. May habe "sehr klar" gesagt, dass sie keine Verlängerung über das bisherige Brexit-Datum hinaus wolle, sagte er in Brüssel. In diesem Fall werde Großbritannien auch keine weiteren Zahlungen in das EU-Budget leisten. "Wenn wir kein Mitgliedstaat sind, werden wir nicht in den europäischen Haushalt einzahlen", sagte Callanan.
Dann würden der EU mehrere Milliarden in ihren Haushalten 2019 und 2020 fehlen, die mit britischen Beiträgen während einer Übergangsphase geplant wurden. Die meisten EU-Programme von Hilfen für Landwirte bis zur Forschungsförderung für die anderen Mitgliedstaaten müssten dann voraussichtlich gekürzt werden. Blümel bekräftigte, dass Österreich beim EU-Finanzrahmen rund um den Brexit auf einer Begrenzung der Ausgaben auf 1 Prozent seines BIP bleibe. Dadurch dass der Betrag ohnehin mehr werde durch das gestiegene Wirtschaftswachstum, sei dies ausreichend.
Weil vor dem Brexit-Datum nur noch gut fünf Wochen Zeit sind, wird nun trotz der Äußerungen Callanans immer häufiger über eine Verschiebung des Austrittsdatums spekuliert. Bei einer Fristverlängerung um mehr als drei Monate müssten die Briten aber womöglich noch einmal Abgeordnete bei der für Ende Mai angesetzten Wahl zum Europäischen Parlament bestimmen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte der "Stuttgarter Zeitung" (Dienstag), beim Brexit seien schon viele Zeitpläne über den Haufen geworfen worden. "In Sachen Brexit ist es wie vor Gericht und auf hoher See: Man ist in Gottes Hand. Und immer ist es ungewiss, wann Gott richtig zugreift."