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"Neger-Christl haben s' zu mir gesagt"

Farbige Besatzungskinder aus Österreich wurden häufig in die USA geschickt. Die, die hier blieben, hatten mit Beleidigungen und Demütigungen zu kämpfen. Ein verdrängtes Kapitel der Nachkriegsgeschichte.

"Neger-Christl haben s' zu mir gesagt"
"Neger-Christl haben s' zu mir gesagt"


Christine Mjka spricht nicht gern über ihre Vergangenheit. Doch an einem heißen Nachmittag sitzt sie in ihrer kleinen Wiener Wohnung vor einem Stoß Kinderfotos, Dokumenten und Tagebucheinträgen und erzählt von einer Zeit, die sie nicht noch einmal erleben will, von einer Zeit, die geprägt war von Demütigungen, Lügen und Scham. Von ihrer Kindheit.

Christine Mjka wurde als Tochter einer Wienerin und eines afroamerikanischen Besatzungssoldaten am 10. Juli 1949 in Wien geboren. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. "Ich hab nur die dunkle Hautfarbe und die krausen Haare von ihm bekommen", sagt die heute 64-Jährige. Ihre Mutter sprach nie vom Vater. "Als hätte es diese Zeit nicht gegeben." Doch Mjka hat nach Jahren des Haderns heute einen Funken Verständnis für ihre Mutter: "Ein uneheliches Kind war damals eine Katastrophe und dann mit einem Afroamerikaner. Sie hatte es nicht leicht, aber ich auch nicht."

70.000 US-amerikanische Soldaten waren nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Österreich stationiert, darunter etwa fünf Prozent Afroamerikaner. Private Kontakte zwischen den Soldaten und der Bevölkerung waren streng verboten. Ein Verbot, das der Realität nicht standhielt. Immer mehr Liebesbeziehungen entwickelten sich.

Wie viele afroösterreichische Kinder es aus der Nachkriegszeit gibt, weiß man nicht. Allein in Salzburg, wo das Hauptquartier der Amerikaner während der Besatzungszeit lag, gab es 1899 uneheliche Kinder, deren Väter US-Amerikaner waren. "Was wir damals an ,Negerkindern‘ gehabt haben - schrecklich", erzählte eine pensionierte Krankenschwester der Salzburger Historikerin Ingrid Bauer, die über die Nachkriegszeit forschte. In Deutschland sollen etwa 5000 Kinder einem Verhältnis mit afroamerikanischen Soldaten entstammen.

Dass sie anders sei, habe Christine Mjka bald bemerkt. Schon im Kindergarten hat man Abstand zu ihr genommen: ",Neger-Christl‘ haben s' zu mir gesagt." Die Geschichten über Beleidigungen und Demütigungen, die sie in ihrem Leben erfahren musste, könnten ganze Bücher füllen. Selbst Mutter und Großmutter sagten ihr, sie solle nicht auffallen, schnitten und glätteten ständig die Haare. Als sie mit ihrem Mann in den Gemeindebau zog, in dem sie heute noch wohnt, war man schon gewarnt. "Die haben gesagt: ,Ah, wir haben eh schon gehört, dass a Negerin kommt.‘" Immer wieder schrieb man "Negahua" an ihre Tür, beschmierte die Fahrräder ihrer Kinder mit Hundekot.

Die Beleidigungen haben bis heute nicht aufgehört: "Ich werde noch immer als ,Zigeunerin‘ oder Türkin beschimpft." Doch heute schnauzt die Wienerin zurück und versteckt sich nicht mehr. "Die Leut' sind sehr baff, wenn ich dann sag: ,Geh schleich di!‘"

Den Mut hat sie sich hart erarbeiten müssen. "Mein Mann hat mir sehr geholfen. Und meine Aufgabe als Bezirksrätin." Dabei habe sie gelernt, dass sie sich nicht verstecken müsse und gute Arbeit leiste, vor allem wenn Menschen mit Sorgen zu ihr kämen. Auch wenn sie hinter ihrem Rücken über sie herziehen. "Ich kann mich doch nicht in der Wohnung verkriechen, nur wenn so ein paar Vollidioten herumlaufen."

Christine Mjka glaubte lang, dass sie allein mit ihrem Schicksal sei. Dass sie einen älteren, ebenfalls farbigen, Halbbruder hat, erfuhr sie erst zufällig im Jahr 1972. Robert William Ulrich heißt er und die Pensionistin ist seit über dreißig Jahren auf der Suche nach ihm.

Die einzige Spur führt über ein Kinderheim im bayerischen Amberg in die USA. Mjka hält zwei Fotos in der Hand. Eines zeigt ihren Bruder vor der Abreise nach Amerika, auf dem anderen ist Robert bereits bei seinen Adoptiveltern, vermutlich in Baltimore.

Die Fotos hat Mjka nach dem Tod ihrer Mutter gefunden. Die hatte nie ein Wort über ihren Sohn verloren. Ihren Halbbruder kennenzulernen ist heute der Herzenswunsch der 64-Jährigen.

Vielleicht traf Robert William Ulrich damals, als er in den USA ankam, Trudy Jeremias. Die heute 87-Jährige arbeitete damals bei jener Fluglinie, die viele der afroösterreichischen und afrodeutschen Kinder in die USA zu ihren Adoptiveltern brachte.

Trudy Jeremias floh mit 13 Jahren vor den Nazis in die USA. Als sie eine junge Frau war, wuchs der Wunsch, zurück nach Europa zu fliegen. Doch das Geld fehlte. Um trotzdem in die alte Heimat zu kommen, heuerte sie als Stewardess an. "Am Flughafen fielen mir dann die vielen deutschsprachigen Kinder auf. Sie müssen alle so zwischen vier und acht Jahre alt gewesen sein. Ich ging zu meinem Chef und sagte ihm, dass ich mich um sie kümmern wolle."

Von da an nahm sich Trudy Jeremias der Kinder an, die oft nicht wussten, wo sie gelandet waren: "Viele dachten, sie kämen zu ihrer Mutter. Ich versuchte ihnen dann zu erklären, dass die hier nicht auf sie wartet." Die Begegnung mit den meist afroamerikanischen Adoptiveltern verlief nicht immer reibungslos. Manchmal gab es sogar Angst vor der Hautfarbe der neuen Eltern: "Ein Mädchen schrie einmal: ,Ein Schwarzer, ein Schwarzer!‘, als es die Adoptiveltern sah. Dabei hatte es selbst eine dunkle Haut."

Heute sitzt die 87-Jährige in ihrer New Yorker Wohnung. Aus der Stewardess wurde eine erfolgreiche Künstlerin. Ihre Wände sind voller Bilder und Fotos. Erinnerungen an ein langes Leben. Nur ein Abschnitt fehlt: Das Jahr als Stewardess. "Da gibt es keine Andenken. Es war oft so hektisch, dass ich nicht einmal wirklich mit den Kindern reden konnte." Dabei würde sie heute gern etwas über ihr Leben erfahren. "Ein Bub ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Peter."

Er dürfte etwa vier Jahre alt gewesen sein, als er in Tiroler Tracht, mit rot-blond gekräuseltem Haar, am Flughafen stand und wartete. Ein Bild, das sich bei Trudy Jeremias eingebrannt hat. "Der hat so einen Dialekt gesprochen, dass ich ihn nicht verstanden habe." Auch seine Geschichte wüsste sie heute gern.

Diese Geschichten wollen Forscher der Universität Salzburg jetzt herausfinden. "Viele afroösterreichische Besatzungskinder wurden zur Adoption nach Amerika geschickt. Man glaubte, unter der afroamerikanischen Bevölkerung hätten sie es leichter, weil sie nicht so auffallen würden", erklärt der Historiker Philipp Rohrbach. Das Schicksal dieser Kinder sei kaum aufgearbeitet, man wisse nicht einmal, wie viele es gegeben habe, auch nicht, wie viele in Österreich lebten.

Gesucht werden daher Personen, die in der Zeit zwischen 1945 und 1956 als Kinder afroamerikanischer Soldaten geboren wurden, sowie Betreuungspersonal in Jugendämtern, Kinderheimen oder anderen Sozialeinrichtungen. Unter www.afroaustria.at kann man sich mit den Forschern in Verbindung setzen.

Auch Christine Mjka hat begonnen, ihre Geschichte aufzuarbeiten. "Immer wenn ich darüber rede, kommen neue Erinnerungsfetzen hoch." Die schreibt sie dann in einem Notizbuch nieder. Dort steht auch die Geschichte, als sie im Fasching halb nackt mit Bastrock und großen Armreifen als "Negerlein" verkleidet in die Volksschule geschickt wurde. Für die Mitschüler eine Belustigung, für Christine Mjka eine schmerzhafte Erinnerung, die eine 64-jährige Frau heute noch mit den Tränen kämpfen lässt. Der Titel dieses Tagebucheintrags lautet: "Wie konntet ihr mir das antun?"

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