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Russland setzt Offensive fort - Ukraine meldet Erfolge

Russland treibt die militärische Offensive in der Ukraine weiter voran, stößt aber nach wie vor auf heftigen Widerstand. Die Kämpfe konzentrieren sich auf die südukrainische Stadt Cherson und die zweitgrößte Stadt des Landes Charkiw im Nordosten. Auch die Hafenstadt Mariupol lag unter Beschuss, am Abend gab es neue Luftangriffe in Kiew. Die Verteidiger meldeten vereinzelte Erfolge. So sei die Siedlung Makariw westlich von Kiew zurückerobert worden.

Die Zerstörungen sind enorm
Die Zerstörungen sind enorm

Auch bei Horliwka im ostukrainischen Donbass sollen ukrainische Soldaten demnach Erfolge verbucht haben. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Angaben zunächst nicht. In der Region Schytomyr sollen bei einem Luftangriff vier Menschen getötet und fünf verletzt worden sein. Bei Luftangriffen auf Kiew wurde am Mittwochabend auch das Gelände des Hauptbahnhofs getroffen. "Das Bahnhofsgebäude hielt stand und wurde leicht beschädigt", teilte das Bahnunternehmen Ukrsalisnyzja mit. Zur Zeit des Angriffs sollten Tausende Kinder und Frauen mit Zügen in Sicherheit gebracht werden. Der Schaden sei entstanden, weil die Luftabwehr einen russischen Marschflugkörper abgefangen habe, teilte ein ukrainischer Regierungsbeamter mit.

Das Außenministerium in Kiew forderte die russische Seite am Abend zu einer Feuerpause in Charkiw und Sumy auf, um Zivilisten in Sicherheit bringen zu können, darunter auch ausländische Studenten. Im südukrainischen Odessa gelang indes die Evakuierung von 120 Kindern - darunter ein sechs Tage altes Baby - aus einem Waisenhaus der jüdischen Gemeinde. Mit einem Dutzend Betreuern machten sie sich in fünf Bussen auf den Weg nach Berlin. Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte erklärte am Mittwochabend, dass bisher 227 getötete Zivilisten und 525 Verletzte registriert worden seien. Die tatsächlichen Zahlen dürften aber "deutlich höher" liegen, weil die Meldungen erst mit Verzögerung ankämen.

Ein US-Vertreter erklärte am Mittwoch, die Lage habe sich seit Dienstag nicht signifikant verändert. Russland habe seine Streitkräfte in der Ukraine etwas verstärkt und gehe aggressiver gegen Infrastruktur vor. Beim Angriff auf Kiew seien die Russen "im Verzug". "Die Russen machen nicht die Fortschritte, von denen wir glauben, dass sie sie erwartet hatten. Sie liegen hinter ihrem Zeitplan zurück", sagte der Regierungsvertreter. Mit jedem Tag, an dem die Offensive stocke, fielen die Russen weiter zurück. Seit Beginn der Offensive seien 450 Raketen abgefeuert worden. 82 Prozent der zuvor zusammengezogenen Truppen seien mittlerweile in der Ukraine.

Der Generalstab in Moskau vermeldete am Mittwochvormittag, dass russischen Streitkräfte das südukrainische Cherson mit rund 250.000 Einwohnern eingenommen hätten. Die Stadt liegt nordwestlich der von Russland 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim. Von ukrainischer Seite hieß es, die Stadt sei umzingelt.

Chersons Bürgermeister Ihor Kolytschajew appellierte an die Medien, sich für die Einrichtung eines "Grünen Korridors" zum Transport von Verletzten und Leichen, aber auch von Medikamenten und Nahrung einzusetzen. Ohne diese Möglichkeit würde die Stadt sterben, erklärte er mit Verweis auf eine herannahende humanitäre Katastrophe. Ein Augenzeuge berichtete der APA aus Cherson, die Russen würden sich auf zwei Stadtteile konzentrieren. Von einer völligen Einnahme könne keine Rede sein.

In der Millionenstadt Charkiw meldeten Rettungskräfte nach erneuten Bombardements mindestens vier Tote. Neun weitere seien bei den Angriffen auf den Sitz der Sicherheitsdienste und eine Universität Mittwochfrüh verletzt worden, hieß es. Es gebe "praktisch kein Gebiet mehr in Charkiw, in dem noch keine Artilleriegranate eingeschlagen ist", erklärte der Berater des ukrainischen Innenministers auf Telegram. Am Dienstag waren bei Angriffen auf die 1,4-Millionen-Einwohner-Stadt im Osten des Landes bereits 21 Menschen getötet worden.

Charkiw will sich jedenfalls nicht ergeben. "Wir haben niemals erwartet, dass das geschehen könnte: totale Zerstörung, Vernichtung, Völkermord am ukrainischen Volk", sagt Bürgermeister Ihor Terechow. "Das ist unverzeihlich." In Charkiw werde Russisch gesprochen, jeder vierte Einwohner habe Verwandte in der Russischen Föderation.

Mariupol am Asowschen Meer beklagt laut Bürgermeister Wadym Boitschenko ununterbrochene Angriffe russischer Streitkräfte, zahlreiche Opfer und einen Wasserausfall. Es sei unmöglich, Verletzte aus der Stadt herauszubringen. "Die feindlichen Besatzungstruppen der Russischen Föderation haben alles getan, um den Ausgang der Zivilbevölkerung aus der Stadt mit einer halben Million Einwohner zu blockieren", sagte er in einer Live-Sendung im ukrainischen Fernsehen. Die Behörden bezifferten die Zahl der Verletzten auf mehr als 130. Mariupol gilt als entscheidend für den Versuch Russlands, eine Landverbindung zur Krim herzustellen.

Nach Angaben aus Moskau haben russische Einheiten auch das Gebiet um das größte Atomkraftwerk in der Ukraine unter ihre Kontrolle gebracht. Dies hätten russische Diplomaten der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien mitgeteilt, berichtete IAEA-Chef Rafael Grossi am Mittwoch. Laut dem Brief der russischen Botschaft an die IAEA sorgen die Mitarbeiter im nun eingenommenen AKW Saporischschja weiterhin für den sicheren Betrieb. Die Strahlenwerte seien normal. Am Mittwoch tagt der Gouverneursrat der IAEA, um die Lage zu besprechen.

Nach dem russischen Angriff auf den Fernsehturm in Kiew, bei dem auch die Gedenkstätte Babyn Jar beschädigt wurde, warf der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den russischen Truppen vor, sie wollten sein Land und dessen Geschichte auslöschen. In Babyn Jar verübten im Zweiten Weltkrieg deutsche Besatzungstruppen und deren ukrainische Helfer ein Massaker an der jüdischen Bevölkerung. "Dieser Angriff zeigt, dass für viele Menschen in Russland unser Kiew absolut fremd ist", sagte Selenskyj in einer Video-Botschaft. "Sie wissen gar nichts über Kiew, über unsere Geschichte. Aber sie alle haben den Befehl, unsere Geschichte, unser Land, uns alle auszulöschen."

Dem Kampf gegen Russland sollen sich inzwischen mehr als 1.000 Ausländer angeschlossen haben. "Aus 16 Ländern weltweit sind bereits Freiwillige in die Ukraine gekommen, die bereit sind, Rücken an Rücken mit dem ukrainischen Volk gegen die Aggressoren zu kämpfen", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Mittwoch vor Journalisten. "Ihre Zahl hat bereits mehr als 1.000 Menschen überschritten." Die Angaben sind unabhängig nicht zu überprüfen. Aus welchen Staaten die Freiwilligen kommen sollen, sagte Kuleba nicht.

KOMMENTARE (1)

Peter Lüdin

Mit Charakteren wie V. Putin lässt es sich nur verhandeln, wenn man ebenfals die Waffe auf den Tisch legt. Das sollte mittlerweile klar sein. Allerdings sollte die Waffe dann auch geladen sein.
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