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Dieser 9. Mai hat es in sich

Im Westen feiern die Demokratien den Grundstein ihrer EU. In Moskau präsentiert ein Wiedergänger seine Waffen.

Martin Stricker

Es ist Europatag. Am 9. Mai 1950 unterbreitete der französische Außenminister Robert Schuman einen Vorschlag. Neue Kriege auf dem Kontinent sollten "nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich" werden, betonte der Franzose - und forderte die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion mehrerer Staaten. Kein einzelner sollte mehr Zugriff auf diese kriegswichtigen Güter haben. Es war die Geburtsstunde der späteren Europäischen Union. Sie gründet auf einem friedlichen Miteinander.

Doch ein Retro-Imperialist im Osten verdirbt den Europäern diesmal die Feierstunde. So bedrohlich erschien dem Kremldiktator Wladimir Putin die Demokratisierung der Ukraine und die Anziehungskraft des Schuman-Modells, dass er sein Nachbarland überfiel, um dessen Weg nach Westen zu blockieren.

Auch in Putins Russland ist der 9. Mai ein besonderer Tag. Es wird des Sieges über die Nationalsozialisten im Jahr 1945 gedacht. Das Gedenken hat die Gestalt einer Propaganda-Show. Mit einer martialischen Militärparade sollen Stärke und Glorie gezeigt werden. Siegestaumel wird diesmal kaum aufkommen. Möglich, dass Putin angesichts seines desaströs verlaufenden Kriegs sogar die Generalmobilmachung verkündet - oder verkünden muss.

Auch die EU macht mobil. "Es ist unser gemeinsamer Krieg, aber die Ukrainer sterben", betonte der bulgarische Schriftsteller und Politologe Ivan Krastev dieser Tage bei einer Europakonferenz in Salzburg. Er hat recht. Putin zielt auf das Modell der liberalen Demokratien, auf ihre Schuman-Methode der Gemeinsamkeit, die er verachtet.

Europa verteidigt sich mit seiner Wirtschaftsmacht - einer Waffe, die der Wiedergänger in Moskau am meisten fürchtet. Mit einem Schlag könnte die EU seine Kriegsmaschine entscheidend schwächen, vielleicht zum Stehen bringen. Die europäischen Ausgaben für Gas, Öl und Kohle machen mindestens 20 Prozent aller Einnahmen des Kremls aus. Ein rasches Umschwenken Russlands auf andere Abnehmer ist unmöglich. Aber auch ein rascher Abschied von Putins Tropf gilt als unmöglich, weil zu riskant für unsere Wohlstandsgesellschaften. So bleibt nur der Weg des langen Atems.

Die Europäer aber vertrauen ihrem Projekt. Fast 80 Prozent treten für eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ein. Mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs fühlen sie sich von Europa besser beschützt als von ihren nationalen Regierungen. Was trotz allem eine schöne Bilanz ist.

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