Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die Rücktritte gefordert. Er unterstütze die Anti-Korruptionsbehörden bei ihren Ermittlungen, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache. Es sei "absolut nicht normal", dass es im Energiesektor immer noch "irgendwelche Machenschaften" gebe.
Die Suspendierung Haluschtschenkos habe die Regierung in einer außerordentlichen Sitzung beschlossen, hatte zuvor Regierungschefin Julia Swyrydenko am Mittwoch auf Telegram mitgeteilt. Der ehemalige Energieminister Haluschtschenko ist einer von mehreren Verdächtigen in einem beispiellosen Korruptionsskandal in der Ukraine.
Am Vortag hatte es bei Haluschtschenko Durchsuchungen gegeben. Er war seit Juli Justizminister. Haluschtschenko schrieb bei Telegram, dass er Swyrydenko zustimme. Er halte eine Entfernung für die Dauer von Ermittlungen für eine zivilisierte und richtige Vorgehensweise, schrieb er. Außerdem kündigte er an, sich rechtlich verteidigen und seine Position darlegen zu wollen. Von den Ermittlungen sind mehrere ehemalige und amtierende Regierungsmitglieder betroffen, darunter auch der Ex-Vizeregierungschef Olexij Tschernyschow, der als enger Vertrauter Selenskyjs gilt.
Haluschtschenkos Ministerium in Kiew hatte am Vortag mitgeteilt, die Strafverfolgungsbehörden in vollem Umfang zu unterstützen. Das Justizministerium halte sich konsequent "an den Grundsatz der Nulltoleranz gegenüber Korruption". Details zu möglichen Vorwürfen wurden nicht genannt.
Verdacht der Geldwäsche in Millionenhöhe
Das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) der Ukraine hatten zuvor Ermittlungen bei dem für den Betrieb der Kernkraftwerke zuständigen Staatskonzern Energoatom bekanntgemacht. Es geht um Bestechungsgeld, das beim Bau von Schutzvorrichtungen um Energieanlagen gegen russische Luftangriffe geflossen sein soll. Am Dienstag sprach das Antikorruptionsbüro von fünf Festnahmen und sieben Verdachtsfällen. Die Gruppe soll etwa 100 Millionen US-Dollar (86,4 Millionen Euro) an Schmiergeld gewaschen haben. Die Ermittler veröffentlichten auch ein Foto mit einem Berg an noch eingeschweißten Dollarscheinen.
Im Zentrum der Ermittlungen gegen die "hochkarätige kriminelle Organisation" steht Tymur Minditsch, ein langjähriger Wegbegleiter von Präsident Selenskyj. Der 46-Jährige habe nicht nur Einfluss auf Haluschtschenko ausgeübt, sondern auch auf Ex-Verteidigungsminister Rustem Umjerow, wie Staatsanwalt Serhij Sawyzkyj Medienberichten zufolge sagte. Umjerow, der heute Sekretär des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine ist, räumte in einer Stellungnahme zwar Kontakte zu Minditsch ein, wies aber Korruptionsvorwürfe strikt zurück.
Laut ukrainischen Medien könnte Minditsch auch in dem für die Ukraine wichtigen Bereich der Rüstungsindustrie illegale Geschäfte gemacht und sich bereichert haben. Er soll sich nach einem Tipp zu einer bevorstehenden Hausdurchsuchung ins Ausland abgesetzt haben. Medienberichten nach befindet er sich in Israel.
Selenskyj-Vertrauter gilt als Hauptverdächtiger
Minditsch ist ein Vertrauter und Geschäftspartner von Präsident Selenskyj aus dessen Zeiten als Schauspieler. Der Geschäftsmann gehörte vor Selenskyjs Wahl zum Präsidenten 2019 zu dessen wichtigsten Begleitern - er ist unter anderem Miteigentümer des von Selenskyj gegründeten Studios "Kwartal-95".
Der Hauptverdächtige habe Einfluss auf staatliche Entscheidungen "im Energie- und im Rüstungsbereich" genommen, teilten die Ermittler nach 15-monatiger Arbeit an ihrer Operation "Midas" mit. Sie haben demnach auch 1.000 Stunden abgehörte Gespräche der nun Beschuldigten aufgezeichnet. Die Beschuldigten sollen sich auch Decknamen zugelegt haben - Minditsch wird demnach auch "Karlson" genannt. Im Raum steht auch der Vorwurf, dass Minditsch mit seiner Nähe zu Selenskyj Einfluss auf Personalentscheidungen in der Regierung genommen haben könnte.
Selenskyj hat sich bisher nur kurz in seiner abendlichen Videobotschaft zu den Ermittlungen gegen Energoatom geäußert, ohne auf Details oder Namen einzugehen. Schuldige sollten verurteilt werden, sagte er. Zugleich rief er die Regierungsbeamten zur Zusammenarbeit mit den Ermittlern des NABU auf.
Energoatom hat für die Ukraine besondere Bedeutung
Energoatom sprach von einem "Vorfall", der keinen Einfluss auf die finanzielle Stabilität des Unternehmens, die Stromproduktion und die Sicherheit der ukrainischen Kernkraftwerke habe. Der Staatskonzern gilt als besonders bedeutend, weil in dem Land der Hauptteil der Energieerzeugung von Atomkraftwerken kommt.
Die Energiewirtschaft steht besonders jetzt in der kalten Jahreszeit im Fokus, weil viele Anlagen durch die russischen Drohnen- und Raketenangriffe beschädigt oder zerstört sind. Für die ukrainische Führung kommt der Skandal zur Unzeit, weil viele Menschen in Kälte und Dunkelheit sitzen, während sich Beamte bei illegalen Geschäften bereichert haben sollen.
Minditsch und ein mit ihm befreundeter Geschäftspartner sollen zwischen zehn und 15 Prozent kassiert haben bei Aufträgen von Energoatom und das Geld dann über ein Netz von Firmen gewaschen haben. Geld soll laut NABU ins Ausland abgeflossen sein, darunter auch nach Russland.
Es scheint um den größten Bestechungsskandal der Ukraine zu Zeiten des seit mehr als dreieinhalb Jahren dauernden Krieges gegen den Angreifer aus Russland zu gehen. Das in die EU strebende Land gilt trotz Reformen immer noch als einer der Staaten in Europa mit der höchsten Korruptionsanfälligkeit.
Größter Fall für Ermittler der Behörde NABU
Der Fall gilt für die NABU-Ermittler als der wichtigste und größte bisher. Tausende Menschen hatten im Sommer für die Unabhängigkeit der Behörde demonstriert, nachdem Selenskyj das NABU und die SAP in einem Eilverfahren politischer Kontrolle unterstellen wollte. Schon da gab es Befürchtungen bei vielen in der Ukraine, dass Selenskyj womöglich eigene Interessen verfolgen könnte, um sein Umfeld zu schützen. Auf Druck der EU korrigierte er seine Entscheidung und gab den Behörden die Unabhängigkeit zurück.
Schon im Sommer wurden im Zuge des Vorgehens gegen die Unabhängigkeit der Behörden die Namen der Selenskyj-Vertrauten Minditsch und Ex-Vizeregierungschef Tschernyschow genannt.
Seitenhieb aus Moskau
Moskau nutzte den Korruptionsskandal für einen Seitenhieb gegen die westlichen Unterstützer der Ukraine. Man gehe davon aus, dass der Korruptionsskandal auch in den europäischen Hauptstädten und in den USA beachtet werde, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow russischen Agenturen zufolge. Das seien schließlich aktive Geldgeber Kiews. "Natürlich beginnen diese Länder tatsächlich besser und besser zu verstehen, dass ein bedeutender Teil des Geldes, das sie ihren Steuerzahlern abnehmen, vom Kiewer Regime geplündert wird", behauptete er.
Trotz Korruptionsskandals weiter Ukraine-Hilfe
Deutschland und europäische Partner halten trotz des Korruptionsskandals in der Ukraine an der Unterstützung Kiews im Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg fest. Man habe dem ukrainischen Außenminister Andrij Sybiha klargemacht, "dass es einen entschlossenen Kampf gegen Korruption in der Ukraine braucht, damit die Unterstützung im Westen auch glaubwürdig bleiben kann", sagte Außenminister Johann Wadephul (CDU) vor Journalisten am Rande des Außenministertreffens der G7-Länder wirtschaftsstarker Demokratien in Kanada. Zuvor hatte er sich mit der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas sowie seinen Kollegen aus Frankreich und Italien, Jean-Noël Barrot und Antonio Tajani, am Rande der G7-Konferenz in Niagara-on-the-Lake, mit Sybiha getroffen.
Man habe dabei die weitere Unterstützung für die Ukraine bekräftigt, sagte Wadephul. Bei Kampf gegen die Korruption unterstütze man die Ukraine und die unabhängigen Behörden des Landes. Wadephul rechnet nach eigenen Angaben damit, dass es beim G7-Treffen in der südöstlichen kanadischen Provinz Ontario eine gemeinsame Abschlusserklärung aller - inklusive der USA - geben wird, die die bisherige Haltung zur Ukraine unterstreicht.
(Quelle: APA/dpa/Reuters/AFP)

