Der Medienrummel um seine Person sei ihm schon "ein bisserl peinlich", schließlich gehe es ja um die Stolpersteine und nicht um ihn, sagt Gerhard Geier. Der Salzburger Pensionist feiert am Sonntag seinen 79. Geburtstag und hat es mit seinem Engagement bis zu einem BBC-Beitrag geschafft. Vier Stunden lang hatten die Dreharbeiten mit dem Reporterteam gedauert.
Geier, 1938 in Bischofshofen geboren, absolvierte mit 14 Jahren eine Lehre bei den ÖBB, war dann Fahrdienstleiter und im Vorstand der Personalvertretung. Er sei immer schon ein "durch und durch politischer Mensch" gewesen und habe sich anlässlich das heurigen Gedenkjahrs gefragt: "Was für einen Beitrag könnte ich leisten?", sagt Geier. Die Antwort kam ihm beim Vorbeigehen an den 388 in Salzburg verlegten Stolpersteinen. "Ich musste mich immer runterbeugen, um die Daten lesen zu können." Also dachte er sich, wenn sie frisch poliert wären, ginge das sehr viel einfacher.
Seit Mitte April ist er mit einem rollbaren Putzkorb unterwegs und bringt die Messingsteine mit Zitronensäure, Wiener Kalk und Autopolitur auf Vordermann. Auch jenen von Karl Steinocher unweit von Geiers Wohnung. Steinocher, Eisenbahner, Gewerkschafter und Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, wurde 1942 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt und starb später an den Haftfolgen. "Seinen Sohn (den 2013 verstorbenen Salzburger SPÖ-Politiker, Anm.) habe ich gut gekannt", sagt Geier.
Wenn er sich auf seinem mitgebrachten Hocker vor einem Stolperstein niedergelassen hat und zunächst den oberflächlichen Staub mit einem Handbesen entfernt, dann bleiben Passanten schon einmal stehen. "Die Japaner interessieren sich und die Engländer, aber auch Einheimische", schildert der Pensionist. Nur eine einzige negative Begegnung hat Geier bisher erlebt. "Was das wieder kostet und wozu das gut sein soll, hat ein Herr gefragt. Dafür habe ich auch eine andere Begegnung mit einem älteren Herrn gehabt. Ich saß in der Paris-Lodron-Straße und er hat mich von der gegenüberliegenden Straßenseite stumm beobachtet. Und als ich fertig war, ist er an mich herangetreten, hat mir die Hand gegeben und hat nur ,Danke' gesagt."
Etwa 320 der 388 in der Stadt Salzburg verlegten Stolpersteine hat Gerhard Geier seit April gereinigt. Mit den genauen Standorten sucht sich der Pensionist auch die biografischen Eckdaten der Opfer des Nazi-Regimes heraus. Beim Reinigen ist Geier dann gedanklich bei der Person und ihrem Schicksal. "Wenn ich mit dem Mikrofasertuch dann den letzten Rest der Politur entferne, dann baut sich ein Gefühl in mir auf. Ein bisschen so, wie wenn man einen Stein auf ein Grab legt. Es ist jedes Mal wie ein kleiner Abschied."
Manchmal komme ihm auch "das Gruseln". So wie in Maxglan, beim ehemaligen Lager für Roma und Sinti. "Dort gibt es einen Platz mit 20 Stolpersteinen. Eines der Opfer war ein 14-jähriges Mädchen. Alle anderen waren zwischen 17 Tagen und drei Jahren alt. Da fragt man sich schon, was damals bei uns passiert ist." Doch dann sind es auch immer wieder erfreuliche Momente, die sich bei Geier eingeprägt haben. So wie die Begegnung mit einem Zehnjährigen im Kaiviertel. Der Bub sprach den Pensionisten an, man unterhielt sich über die Stolpersteine. "Der junge Mann hat genau gewusst, worüber er sprach. Es war für mich schön zu sehen, dass Kinder über die Stolpersteine informiert sind."
Gerade jetzt, angesichts des zunehmenden Nationalismus in Europa, sei das Wissen um die Vergangenheit wichtig. "Wir sind mit dem Gedanken, ein Europa zu werden, zur EU gegangen. Ich kann mich gut erinnern, als wie zum ersten Mal ohne Ausweis das Kleine Deutsche Eck passieren konnten. Und jetzt hört man in der Sauna, dass es gut wäre, die Grenzen zu schließen."