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Selbstversuch: Als Kellner beim Münchener Oktoberfest

Einen halben Tag lang als Wiesn-Kellner beim Münchener Oktoberfest zu arbeiten bringt viele Erkenntnisse. Die wichtigsten: Geld stinkt nicht. Und Österreicher haben Vorteile - wenn sie sich blöd stellen.



Was macht ein notorischer Wiesn-Verweigerer, wenn er gebeten wird, eine Geschichte über das größte Volksfest der Welt zu schreiben? Kurz nachgedacht: Gut, das ist meine Arbeit. Also gehe ich hin - und arbeite einen halben Tag als Kellner. Das Wagnis, einen ungeschulten Laufburschen auf seine Gäste loszulassen, ging Wiggerl Hagn ein. Seit 33 Jahren leitet er die Geschicke im Löwenbräu-Zelt. Er kennt sich aus und hat schon viel erlebt. "Einen Redakteur als Kellner noch nicht", sagt er.

Die erste Erkenntnis: Es ist nur ein Gerücht, dass Journalisten ihre Nase gern überall reinstecken. Beim Betreten des Zelts um neun Uhr früh liegt ein beißender Duft in der Luft: Die Mischung aus abgestandenem Bier und eingetrocknetem Urin stößt heute selbst dem Hagn Wiggerl sauer auf. "Wir hatten ein Problem", sagt er bärbeißig. Die Toilettenanlagen hätten sich noch nicht recht eingespielt. "Die erste Mass trinken die Gäste um zehn. Um zwölf wollten gestern alle gleichzeitig zum Pieseln. Da hat’s an Stau ge’m."

Andererseits: Bierumsatz bringt Geld, und Geld stinkt bekanntlich nicht. Weshalb auch den ersten Kampftrinkern um 9.30 Uhr schon wieder freundlich die Plätze zugewiesen werden. "Die stehen bis 23 Uhr nicht mehr auf", erklärt ein bayerischer Wiesn-Profi. Warum? "Wer aufsteht, verliert - seinen Platz." Er sollte recht behalten. Um zehn Uhr werden die ersten Mass bestellt. Auf geht’s.

Meine Einschulung übernimmt Barbara. Sie ist seit 1971 Kellnerin im Löwenbräu. Wir packen vorgewickelte Bestecke aus und decken damit die Tische. "Das Wickeln der Bestecke macht eine Firma für uns", sagt sie. 160 Euro habe sie dafür bezahlt. "Du?" "Jo freili. Wenn i Zeit beim Wickeln spar, kann i mehr Bier verkaufn", erklärt sie. Dazu muss man wissen: Barbara ist Unternehmerin. So wie alle Kellnerinnen auf der Wiesn Unternehmerinnen sind. Jede Mass, die sie dem Gast bringt, hat sie zuvor ihrem Wiesn-Wirt abgekauft. 160 Kellnerinnen laufen im Löwenbräu deshalb auf Hochtouren. Pro Tag transportieren sie etwa 50.000 Liter Bier. Mein erster Bierlauf fällt zufriedenstellend aus. Mit zehn Mass schleppt man etwa 20 Kilogramm von der Schank zu den durstigen Empfängern. Die üblichen zwölf Mass traut mir Carina, meine zweite Ausbildnerin, nicht zu.

Dass ich reibungslos überall durchkomme, liegt auch daran, dass ich als Mann weniger Hindernisse zu überwinden habe. "Vor allem die jungen Kolleginnen ham blaue Flecken am Körper", sagt Barbara. "Wieso?" "Von den Grapschern." Ab einem bestimmten Alter hätte sie eben Ohrfeigen verteilt. "Sonst kapieren’s es nie." Ich gelange vollkommen unbelästigt an mein erstes Ziel. Das ist eine Damenrunde, der ich eine Runde Radler serviere. Sie mustern mich misstrauisch. Es stellt sich heraus, dass sie Wiesn-Neulinge sind und Halbliter-Gläser erwartet hätten. "Hier gibt’s nur Mass", antworte ich pflichtgemäß. Eine Dame schaut mich dafür böse an. "Und i bin a Esterreicha", füge ich hinzu. Als Österreicher wird man in München ja selten ernst genommen. Das wirkt. "Ach so", sagen die Damen sichtlich vergnügt. "In der Kuchl sind 80 Prozent Österreicher", sagt der Hagn Wiggerl. In der Ausschank trifft man dafür nur Bayern. Stefan zeigt mir, wie es geht. Ich darf auch ein paar Mal zapfen. Nach drei Versuchen verlasse ich Stefans Wirkungsbereich mit den Worten "I bin a Esterreicha." "Ach so."

Um halb zwölf macht sich die Musi bereit. Das sind im Löwenbräu aus Tradition Die Heldensteiner aus Mühldorf am Inn. Der Kapellmeister geht nach vorn und breitet wie der Messias die Arme aus. Die Halle ist bis auf den letzten Platz gefüllt. "Wir san guat drauf und hoffen - ihr seid’s es auch", beginnt er sein Hochamt. Nach dem ersten Takt stehen die Gäste auf den Bänken.

Barbara sagt, dass sie schon fünf Mal den Jakobsweg gegangen sei: "Zur Erholung, da tritt dir keiner beim Gehen ins Kreuz", sagt sie. "Aha. Die eilige Barbara", sage ich. "Du sei net frech, gell?", sagt sie. "I bin a Esterreicha." "Ach so."

Selbstversuch: Als Kellner beim Münchener Oktoberfest
Selbstversuch: Als Kellner beim Münchener Oktoberfest

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