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"Wir leben noch, ihr auch?"

SN-Leser Peter Mitmasser schildert das Kriegsende: "Ich bin knapp sechs. Wir sitzen im Keller. Frauen und Kinder. Die Männer an der Front oder tot. Täglich lassen Granateinschläge und Tieffliegerangriffe die Luft erzittern. In der Nacht donnern Schläge an die Haustüre. Die Russen. Wir zittern jetzt auch, vor Angst. Meine Mutter geht öffnen. Besser aufmachen, als dass sie uns die Tür einschlagen. Sie war immer schon mutig. Aber es ist deutsches Militär. Frauen und Kinder den Ort räumen. Kampfzone! In der Morgendämmerung holt euch ein Lkw ab. Ein Koffer pro Person! Und kein Licht!

Was nimmt man mit? Wäre nur Papa da. Aber der muss gegen die Russen kämpfen. Und kommt nicht wieder. Dokumente, ein paar Wertgegenstände, Geld, sofern vorhanden, Lebensmittel, Kleidung.

Der Lkw ist da. Zum nächsten Bahnhof. Die Waggons brechend voll. Keine Sitzplätze. Oma, Mutter und ich sitzen auf unseren Koffern. Der Zug ruckt an. Wohin? Egal, nur nach Westen, irgendwohin, weg vom Krieg. Wir dösen. Plötzlich Hämmern von MG. Jaulende Flugmotoren. Alarm! Tiefflieger! Alles raus! Oma fällt hin. Menschen steigen über sie drüber, auf sie drauf.

Die Lok ist getroffen. Am nächsten Bahnhof ist Schluss. Kinderheim, Suppe, Brot. Oma kann nichts essen. Du musst, sagt Mutter. Iss! Verdreckte Klos. Ein Kinderbett für uns drei. Der Zug hat eine neue Lok. Hinein. Weiter nach Westen. Horrornachrichten. Die Russen sind schon in unserem alten Wohnort.

Auffanglager, schließlich private Unterkunft. Die Hausfrau füttert ihre Hühner mit dem Dicken auf der Milch, kassiert und beklagt sich gleichzeitig über uns: ,Die esset üs alles weg, odr.‘ Einmarsch der Franzosen. Meine ersten Schwarzen. Marokkaner. Sie jagen Frauen. Langsam Normalisierung. Post geht wieder. Mutter schreibt an Verwandte: Wir leben noch, ihr auch?"