Die Ukraine wird heuer somit um ein Drittel bis die Hälfte ihrer Wirtschaftsleistung verlieren, schätzen die WIIW-Ökonomen. In den Gebieten, in denen es keine Kämpfe gibt, zeige sich die Wirtschaft aber bisher erstaunlich widerstandsfähig. Das Budgetdefizit der Ukraine dürfte auf 25 Prozent des BIP steigen, das Land wird auf westliche Finanzhilfe angewiesen sein.
Auch für die nächsten Jahre sieht Vasily Astrov, Hauptautor der WIIW-Frühjahrsprognose, düster. "Auch bei einem Waffenstillstand und einer politischen Lösung dürfte ein kräftiger Aufschwung erst 2024 einsetzen, weil private Investoren wohl nur langsam wieder ins Land zurückkommen würden."
Russland ist durch die westlichen Sanktionen heuer ebenfalls mit einem massiven Wirtschaftseinbruch von zumindest 9 Prozent und einer Inflation von mindestens 20 Prozent konfrontiert. Ein Öl- und Gasembargo der EU könnte das russische BIP aber um bis zu 15 Prozent schrumpfen und die Inflation auf 28 Prozent steigen lassen. "Schon jetzt sehen wir, dass es aufgrund der Sanktionen in vielen Bereichen zu Lieferkettenproblemen kommt. Das und der Rückzug vieler westlicher Firmen, beispielsweise in der Autoindustrie, trifft die industrielle Produktion ins Mark", sagt Astrov.
Für die meisten Länder Ost-, Mittel und Südosteuropas bleiben die Folgen des Ukraine-Krieges heuer aber "überschaubar", so das WIIW. Die Einbußen aus dem Handel (ohne Energieembargo) mit der Ukraine und Russland dürften sich mit Ausnahme von Belarus zumeist auf etwa rund 0,5 Prozent des BIP belaufen. Bei den Branchen ist vor allem die für die Region so wichtige Autoindustrie direkt betroffen, da die Ukraine ein wichtiger Zulieferer etwa von Kabelbäumen war.
Die elf EU-Mitglieder der Region werden, wenn der Krieg nicht weiter eskaliert, heuer im Schnitt um 3 Prozent wachsen, im negativen Szenario würden sie um 0,1 Prozent stagnieren. "Im Vergleich zu unserer letzten Prognose haben wir natürlich stark nach unter revidieren müssen, im Ausmaß von ungefähr ein bis zwei Prozentpunkten", sagte Holzner.
Am meisten trifft der Ukraine-Krieg die CESEE-Region über stark steigende Energie- und Lebensmittelpreise. "Sollte es zu einem Energieembargo gegen Russland kommen, wird die Inflationsrate in fast allen Ländern Mittel- Ost- und Südosteuropas zweistellig ausfallen", schätzt Astrov. In der Türkei werde sie selbst im Basisszenario bei rund 55 Prozent liegen.
Das Basisszenario des WIIW ist ein Status Quo ohne große militärische Veränderungen, "der Krieg, wenn man so will, ist ein Abnützungskrieg, der im Laufe dieses Jahres dann zu einer Art Stillstand kommt". Im Negativszenario verschärft sich der Krieg, es kommt zu noch mehr Kriegsverbrechen und die EU reagiert darauf mit einem vollkommenen Embargo von russischem Öl und Erdgas.
Österreichs Exporte nach Russland, in die Ukraine und nach Belarus sind vergleichsweise gering, auch Österreich ist aber von den Lieferproblemen aus der Ukraine betroffen. So mussten mehrere Fahrzeugbauer und Zulieferer aufgrund fehlender Teile die Produktion vorübergehend einstellen.
Ein EU-Embargo gegen russisches Gas würde Österreich aber sehr schmerzhaft spüren, weil es 80 Prozent seines Erdgases von dort bezieht. Für Deutschland rechnen die Wirtschaftsforschungsinstitute bei einem sofortigen Gasembargo mit einer Rezession im Bereich von 0,5 bis 6 Prozent des BIP im nächsten Jahr. "In Österreich könnte der Einbruch angesichts der stärkeren Abhängigkeit von russischem Gas wohl noch tiefer als in Deutschland sein", argumentiert Astrov.