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Richtungsstreit um die EU-Wettbewerbspolitik

EU-Kommissarin Vestager warnt vor einem Verwässern der Regeln für Zusammenschlüsse. Auf dem Spiel stehe Europas Wirtschaftsmodell.

An der nicht genehmigten Fusion von Siemens und Alstom entzündete sich die Debatte über eine Neuausrichtung der EU-Wettbewerbspolitik.
An der nicht genehmigten Fusion von Siemens und Alstom entzündete sich die Debatte über eine Neuausrichtung der EU-Wettbewerbspolitik.

EU-Kommissarin Margrethe Vestager meldet sich in der Debatte über die Kartell- und Wettbewerbsregeln in der Union in gewohnter Deutlichkeit zu Wort. In einem Interview mit der "Financial Times" richtet sie eine Warnung an jene Länder, die nach Änderungen rufen. Wer eine Verwässerung der Fusionsregeln fordere, müsse sich der "Konsequenzen bewusst sein", sagt Vestager. Ein derartiger Schwenk wäre eine "strategische Entscheidung, das europäische Wirtschaftsmodell zu ändern", sagt die streitbare Politikerin.

Damit reagiert Vestager auf Vorwürfe aus Deutschland und Frankreich, deren Zorn sie sich zugezogen hat, weil sie die Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom untersagt hatte. Der deutsche und der französische Konzern mit ihren Vorzeigeprodukten ICE und TGV wollten - ähnlich dem Modell Airbus im Flugzeugbau -, einen europäischen Anbieter schaffen, der dem weltgrößten Zughersteller CRRC, hinter dem der chinesische Staat steht, Paroli bieten kann. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire hatte das Veto Vestagers gegen den Zusammenschluss als Fehler bezeichnet.

Die hatte ihre Ablehnung damit begründet, dass bei einer Fusion der Wettbewerb bei Hochgeschwindigkeitszügen eingeschränkt würde. Die daraus resultierenden höheren Preise würden ausländische Anbieter wie CRRC geradezu einladen, in den europäischen Markt einzutreten, hatte Vestager gesagt.

Le Maire und der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier forderten, die EU-Wettbewerbsregeln zu überdenken und völlig zu überarbeiten. Konkret schlugen sie vor, dass sich Regierungen über die Entscheidungen der EU-Kommission hinwegsetzen können. Zudem müsse gewährleistet sein, dass Regulatoren in Zukunft ihre Entscheidungen auf Basis des Weltmarktanteils der beteiligten Unternehmen treffen, statt dafür deren Marktposition in Europa oder auf nationaler Ebene als Kriterium heranzuziehen.

Zwar hält auch Vestager die Zeit für "einen nuancierten und pragmatischen Zugang" in der Wettbewerbspolitik für reif. Denn angesichts des Staatskapitalismus in China und des protektionistischen Kurses in den USA werde die Asymmetrie zu den offenen europäischen Märkten "immer offensichtlicher". Vestager zieht daraus aber einen anderen Schluss als die Politiker der beiden größten Volkswirtschaften in Europa. Europa sei mit der gegenwärtigen Praxis, fairen Wettbewerb zu fördern, sehr gut gefahren, es seien effizientere und innovative Unternehmen entstanden, die sich auf dem Weltmarkt besser behaupten können. Europas Konkurrenten verfolgten andere Wirtschaftsmodelle, sagt Vestager. China setze auf Monopole in Staatsbesitz und auch in den USA gebe es eine Tendenz zu einer stärkeren Konzentration auf den Märkten. Europa müsse sich gut überlegen, welchen Weg es weiter gehen wolle.

Unterstützung für ihre kompromisslose Linie erhält Vestager von Ökonomen. Innovationsfähigkeit entstehe aus Wettbewerbsdruck, sagte Christoph Schmidt, Vorsitzender des Deutschen Sachverständigenrats. "Ich warne davor, hier die Zügel locker zu lassen." Und der Wettbewerbsökonom Justus Haucap von der Uni Düsseldorf hielte es für "absolut kontraproduktiv", das Entstehen von Giganten mit großer Marktmacht zu genehmigen.

Die Debatte über eine grundlegende Reform der europäischen Wettbewerbspolitik ist mit dem Fall Siemens-Alstom eröffnet. In welche Richtung es geht, wird wesentlich davon abhängen, wie die nächste EU-Kommission zusammengesetzt ist. Ob Vestager ihr angehört oder sogar Chancen hat, Jean-Claude Juncker nachzufolgen, hängt von den EU-Parlamentswahlen ab. Auf Unterstützung aus Paris und Berlin darf Vestager nicht hoffen.

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