Die Debatte, ob die kalte Progression in Österreich abgeschafft werden soll, läuft schon sehr lang. Aber mit dem rasanten Anstieg der Inflation hat sie erneut Fahrt aufgenommen. Und geht es nach Finanzminister Magnus Brunner, dann könnte ab nächstem Jahr Schluss damit sein, dass der Fiskus zusätzliche Steuereinnahmen erzielt, weil der Tarif in der Lohn- und Einkommensteuer nicht regelmäßig an die Teuerung angepasst wird.
Am Mittwoch sprach sich Brunner bei der Veranstaltung "Finanz im Dialog" für das Abschaffen der kalten Progression aus. "Ich will das machen, weil sich die Situation geändert hat", sagte der Minister und verwies darauf, dass die derzeit hohe Inflation zwar sinken, aber wohl längere Zeit nicht auf das niedrige Niveau der vergangenen Jahre zurückkehren werde. In seinem Ressort würden derzeit verschiedene Modelle geprüft, er wolle vor dem Sommer ein Konzept vorlegen, das im Herbst im Nationalrat beschlossen werden und 2023 in Kraft treten könnte. "Das wäre mein Wunsch."

In der Schweiz ist die regelmäßige Indexierung des Steuertarifs seit 2011 gesetzlich vorgesehen. Man habe aber mit dem Modell noch wenig Erfahrung, sagt Ueli Maurer, Chef des Eidgenössischen Finanzdepartements, weil es einige Jahre lang eine negative Teuerung gegeben habe. Heuer werde die automatische Anpassung erstmals wieder nötig sein. Allerdings spielt sich der Ausgleich in der Schweiz auf einem anderen Niveau ab. Aktuell liegt die Inflationsrate in unserem Nachbarland bei 2,5 Prozent, in Österreich war sie mit zuletzt 7,2 Prozent fast drei Mal so hoch. Das habe vor allem mit dem starken Schweizer Franken zu tun, sagt Maurer, der mache die Einfuhr von Gütern und Dienstleistungen für die Schweiz billiger, daher werde weniger Inflation importiert. Für den Leiter der Agenda Austria, Franz Schellhorn, wäre der automatische Ausgleich der Inflation "anständig gegenüber den Steuerzahlern" und zudem eine "gute Selbstbindung für den Staat", bei den Ausgaben zu bremsen. Die hohe Inflation ist laut Schellhorn auf absehbare Zeit die größte Gefahr für den Wohlstand, weil sie wie eine Sondersteuer wirke. Es gebe aber über den in Österreich gut ausgebauten Sozialstaat ohnehin einen Ausgleich für höhere Belastungen.
Auch Brunner hält das Abschaffen der kalten Progression "aus Fairnessgründen" für geboten, allerdings schränke der Staat damit seine Möglichkeiten ein, über Steuerreformen Schwerpunkte zu setzen. Apropos Steuerreform: Brunner ist gegen das von Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer ins Spiel gebrachte Verschieben des Einstiegs in die Bepreisung von CO2 ab dem Sommer. Es handle sich um ein Kernelement der Steuerreform, bei dem die Entlastung durch den Klimabonus zudem höher sei als die Belastung. Er sei angesichts der aktuellen Lage allerdings froh, dass man sich für einen niedrigen Einstiegspreis von 30 Euro je Tonne Kohlendioxid entschieden habe.
Die Diskussion, ob und wie man die Menschen von den gestiegenen Energiekosten entlasten sollte, gebe es auch in der Schweiz, sagt Maurer. Man sollte die Situation einige Monate beobachten, anstatt aus der Hüfte heraus Maßnahmen zu setzen. "Der Staat ist kein Väterchen, der alles abdeckt. Wir haben sie (Private und Unternehmen, Anm.) in der Pandemie verwöhnt, jetzt kommen alle mit der hohlen Hand." Dazu komme, dass man beim Rückerstatten von Kosten wegen der in der Schweiz existierenden Schuldenbremse bei anderen Ausgaben Kürzungen vornehmen müsste.
Auch in der Schweiz gebe es Personen, die nichts auf die hohe Kante legen könnten und die man unterstützen müsse, sagt Maurer. Seine Antwort darauf: "Daher brauchen wir einen schlanken Staat und müssen uns nach der Decke strecken."