Der BGH veröffentlichte diese "vorläufige Rechtsauffassung", nachdem eine für kommende Woche angesetzte Verhandlung über die Klage eines VW-Kunden aufgehoben worden war. (Az. VIII ZR 225/17) Mehr als drei Jahre nach Bekanntwerden des VW-Abgasskandals setzt der BGH mit diesem ungewöhnlichen Schritt ein Zeichen.
Bisher gibt es in dem Skandal kein höchstrichterliches Grundsatzurteil, an dem sich die übrigen Gerichte orientieren können. Bereits im Jänner wurde eine Verhandlung in Karlsruhe abgesagt, weil der Kläger seine Revision wegen einer außergerichtlichen Einigung zurückzog.
In dem konkreten Fall, über den eigentlich kommenden Mittwoch verhandelt werden sollte, hatte ein VW-Kunde gegen einen Autohändler geklagt. Er verlangte wegen der eingebauten Software, die nach Auffassung des Kraftfahrtbundesamt eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, einen Neuwagen. In den Vorinstanzen war seine Klage erfolglos.
Der BGH stellte nun klar, dass nach seiner "vorläufigen Rechtsauffassung" bei einer unzulässigen Abschalteinrichtung von einem "Sachmangel auszugehen sein dürfte". Die deutschen Bundesrichter begründeten dies damit, dass die "Gefahr einer Betriebsuntersagung" durch die zuständige Behörde bestehe.
Die Bundesrichter wiesen zudem darauf hin, dass die Auffassung des Berufungsgerichts in dem konkreten Fall "rechtsfehlerhaft" sein könnte. Das Oberlandesgericht Bamberg hatte die Ersatzlieferung eines Neuwagens als "unmöglich" eingestuft, weil der von dem Käufer erworbene VW Tiguan der ersten Generation nicht mehr hergestellt werde. Der BGH stellte dazu fest, dass die Höhe der Kosten für einen Ersatz entscheidend sei.
Auch wenn die Einstufung des BGH eine Rechtsposition aus Deutschland ist, habe sie auch in Österreich Gewicht, sagte Anwalt Michael Poduschka im Gespräch mit der APA. Denn einerseits könnten sich österreichische Gerichte durchaus an der Einschätzung des deutschen Höchstgerichts orientieren, solange es keine Entscheidung des österreichischen Höchstgerichts OGH gibt. Und andererseits berufe sich der BGH auf eine EU-Verordnung, die auch in Österreich gelte. "Die Rechtswidrigkeit ist in allen EU-Staaten dieselbe", sagte Poduschka.
"Durch den BGH wird eine neue Ära eingeleitet", sagt Poduschka, der in Österreich zahlreiche VW-Käufer als Anwalt vertritt. Denn nun gebe es für VW keine Grundlage mehr zu sagen, die Autos hätten keinen Mangel.
Die österreichischen Rechtsvertreter der VW AG sehen darin allerdings keine Relevanz für in Österreich anhängigen Verfahren, der Hinweisbeschluss des BGH bringe "keine neuen Erkenntnisse". Denn nach Durchführung des Software-Update seien die Fahrzeuge jedenfalls mangelfrei. "In Österreich wurde bei fast allen Fahrzeugen das Software-Update durchgeführt. Weiters ist bei den in Österreich betroffenen Dieselfahrzeugen kein Wertverlust eingetreten", heißt es in einer der APA übermittelten Erklärung der Anwälte von der Kanzlei Freshfields Wien.
Aus dem vom BGH veröffentlichten Hinweis lassen sich nach Ansicht von Volkswagen "keine konkreten Rückschlüsse für die Erfolgsaussichten von Nachlieferungsklagen im Allgemeinen und andere gewährleistungsrechtliche Klagen ziehen". Erst recht lasse sich nichts für die Aussichten von Klagen gegen die Volkswagen AG ableiten, erklärte der Konzern. Die vom BGH geäußerten Erwägungen seien vorläufig, es sei noch keine Entscheidung getroffen.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) begrüßte die Positionierung des BGH. Der Beschluss habe auch für die Musterfeststellungsklage gegen Volkswagen Signalwirkung, erklärte vzbv-Vorstand Klaus Müller. Es sei nun klar, dass auch nach höchstrichterlicher Auffassung die Verwendung der Abschalteinrichtung nicht hinzunehmen sei. Es sei zu begrüßen, "dass die Strategie von Volkswagen nicht erfolgreich war, eine inhaltliche Positionierung des BGH durch einen Vergleich zu verhindern".
Der vzbv und der ADAC hatten im vergangenen Jahr eine Musterfeststellungsklage eingereicht. Hunderttausende Dieselbesitzer schlossen sich der Klage bereits an. Für Aufsehen sorgt auch eine Klage des Rechtsdienstleisters Myright, der dem VW-Konzern unter anderem Betrug und sittenwidriges Verhalten vorwirft. Das Oberlandesgericht Braunschweig lehnte die Klage zwar am Dienstag ab, ließ aber die Revision vor dem BGH zu.
Myright-Gründer Jan-Eike Andresen erklärte, der jetzt ergangene Hinweis des BGH gebe auch der Myright-Klage mit 45.000 Teilnehmern "weiteren Rückenwind". Es sei nur noch eine Frage der Zeit, "bis die Verteidigung von VW zusammenbricht", zeigte sich Andresen überzeugt. Die Wiedergutmachung des Dieselbetrugs, der vor fast vier Jahren in den USA aufgeflogen war, hat Volkswagen bisher mehr als 28 Milliarden Euro gekostet.