Leserbrief

Die Rolle der kleineren Staaten

Zur Verleihung des Salzburger Landespreises für Zukunftsforschung an sowie zum Interview mit Professor Ulrike Guérot in den SN vom 13. November 2019 ("Ein anderes Europa hat große Zukunft") möchte ich einiges anmerken:
Frau Prof. Guérot hält einerseits eine direkte Koppelung zwischen Bürgern und Entscheidungsträgern in der EU für erstrebenswert, um andererseits die Umgestaltung zu einer Europäischen Republik, als Kraftakt von oben, wie mir scheint, zu fordern. Etwas zweideutig ist hier von "organisierbaren Mehrheiten europäischer Bürger" die Rede. Die unterschiedliche Gewichtung der Stimmen zugunsten der kleineren Staaten erscheint mir sehr wohl als berechtigt, weil dadurch die Dominanz der großen über die kleinen etwas abgemildert wird.
Ich halte es für einen Widerspruch, auf der einen Seite eine Aufwertung der Regionen und auf der anderen eine Europäische Republik, die logischerweise einen zentralistischen Charakter hätte, zu fordern. In Brüsseler Kreisen und leider auch in vielen Medien folgt man derzeit dem Trend, die Nationalstaaten in ein schiefes Licht zu rücken. Diese sind es aber, die den Bürgern, etwa bei der ansteigenden, grenzüberschreitenden Kriminalität, noch am ehesten Schutz bieten können.
Soweit ich Frau Prof. Guérot in Fernsehdiskussionen erlebt habe, ist sie jeweils mit dem Gestus einer akademischen Überheblichkeit gegen den Nationalstaat zu Felde gezogen. Als Beispiel, was alles möglich wäre, nennt sie die deutsche Wiedervereinigung. Einen diesbezüglichen Vergleich mit der herbeigeredeten Auflösung der EU-Nationalstaaten empfinde ich im Hinblick auf die demokratische Tradition der europäischen Staaten allerdings als unzumutbar.
In dem SN-Beitrag wird auch auf Prof. Leopold Kohr Bezug genommen. Wenn ich an dessen Erkenntnisse, z. B. in seinem Buch "Das Ende der Großen", denke, so stehen diese im größtmöglichen Gegensatz zu den Ausführungen von Frau Prof. Guérot.

Georg Weigl, 5023 Salzburg

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