Am 10. Mai - Brückentag - erschien in den SN ein Interview mit dem Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Es wurden wirtschaftliche, nicht gesellschaftliche Brücken gebaut, "gedankliche und sprachliche Hygiene" gefordert: Der Wirtschaftsvertreter spricht sich für eine klare Trennung von Migration und Flucht aus, bevor er auf Basis seines primären Themeninteresses beide menschenrechtlich gegeneinander ausspielt. Dieser Kanon hat Tradition. Rein aus Freude am Denken frage ich mich angesichts dieses speziellen Narrativs daher seit einiger Zeit: Ist Migration nicht der Überbegriff für alle Formen der Wanderung, ob zwangsweise oder nicht? Definitiv ist er unabhängig davon, welche Wanderer von den gut Sitzenden gewünscht sind und wünschenswert gemacht werden. Wo kämen wir denn da hin?
Die "Migrationsfrage" ist zwischenzeitlich mal eine politische im eigentlichen Sinn gewesen: Wie können (europäische) Staaten ihrer menschenrechtlichen Verpflichtung, Menschen auf der Flucht Schutz in Würde zu gewähren, nachhaltig nachkommen? Welche Gewinne (nicht primär monetäre für wenige) können dadurch in einer vielfältigen Gesellschaft erreicht werden und welchen Rahmen erfordert das? Doch darum geht es lange nicht mehr und etwas hat spätestens seit dem Studienabbrecher, Integrationsstaatssekretär, Außenminister, Zweifachkanzler und nun Silicon Valley-Geschäftsmann Kurz wieder nachhaltig Einzug gehalten in Europa. Nein, nicht etwa Prinzipientreue den Menschen und ihren universellen, unveräußerlichen und unteilbaren Rechten gegenüber, wie es unter anderem 50 Millionen Tote im zweiten Weltkrieg versuchten zu lehren.
Ein wenig scheint es fast, beim Lesen der Worte des Institutspräsidenten, als habe ein Lauf auf zu wenige Rettungsboote begonnen; während manche darin bereits reichlich Platz halten. Doch anders als auf der gesunkenen Titanic könnten die Löcher unter Deck mit dem Geld aus der ersten Klasse, reichlich gestopft werden und Rettungsboote tatsächlich obsolet machen. Das wollte ich nicht ungesagt lassen, so viel "gedankliche Hygiene" muss schon sein.