Leserbrief

Gegen vorschnelle Verurteilungen

Ja, die SN sind eine ausgezeichnete Zeitung, auch für mich, was mich sehr freut. Sie versteht es, Themen aus neuen Blickwinkeln und sehr differenziert zu bringen. Beispielsweise finde ich den SN-Beitrag (SN v. 5. Juni) über den bekannten Historiker Robert Kriechbaumer zu den NS-belasteten Straßennamen sehr interessant und wichtig, denn da geht es um viel mehr als "nur" um einzelne Namen. Es geht um den genauen Blick auf die damalige Zeit, um das Wissen um die Hintergründe und darum, die schwierigen allgemeinen und individuellen Lebensverhältnisse von damals nicht einfach außer Acht zu lassen.

Es geht sicher nicht darum, Schreckliches zu verniedlichen oder wirklich Böses zu entschuldigen. Aber so manche Moral-Experten machen es sich, auch im Gestus modischer "Betroffenheit", doch etwas zu leicht mit ihren raschen Be- und Verurteilungen, heute in Friedens- und Wohlstandszeiten. Sie differenzieren nicht oder zu wenig, denn es sollte bei den Einschätzungen der jeweilige Aktivitätsgrad beim NS-Mitläufertum, das (mehr oder weniger) aktive Mittun bei totalitären Regimen eine wesentliche Rolle spielen.

Das ist das Schöne und Notwendige, dass der Historiker Kriechbaumer hier differenziert, also entschieden dagegen ist, alle(s) über einen Kamm zu scheren. Denn Karrieristen im Interesse des Vorankommens beruflicher Ziele, die "gewöhnliche" Mitläufer waren, müssen noch lange keine Bösen sein. Vom Hochsitz selbstgerechter Moral herunter alles besser zu wissen, zu urteilen und vor allem rasch zu verurteilen, das finde ich heutzutage nicht schwer. "Der Zeitgeist weht bekanntlich nicht konstant aus einer Richtung", betont Kriechbaumer. Dieses wahre Wort sollte zu denken geben, statt der einfachen Holzhammer-Methode, einfach einmal draufzuhauen, doch mehr Behutsamkeit und Wissensdrang an den Tag zu legen. Dieses Wort könnte vielleicht ein bisschen auch dazu Anlass geben, sich nicht nur mit Zeit- und früheren Individualgeschichte(n) näher zu befassen, sondern auch genauer auf das Heute, auf Mainstream und Zeitgeist sowie allfälligen (fehlenden) Mut zum Widerspruch blicken und reflektieren lassen mit der Überlegung, wie positiv oder negativ nächste Generationen über Tun und Lassen von uns Heutigen moralisch befinden werden oder könnten.


Karl Brunner, 9020 Klagenfurt

Aufgerufen am 07.09.2025 um 01:21 auf https://www.sn.at/leserforum/leserbrief/gegen-vorschnelle-verurteilungen-105070285

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