Die Ausführungen im Leserbrief des Dr. Grafinger (SN, 6. 9. 2025) erinnern an einen Mann, für den die Zeit stehengeblieben scheint. Die Rahmenbedingungen, die mit dem Eintritt in die Ordensgemeinschaft verbunden waren, haben die Damen jahrzehntelang eindrucksvoll mitgetragen. Das, obwohl diese Dogmen in einer gelebten Demokratie im 21. Jahrhundert den Ansprüchen an Gleichberechtigung und Menschenwürde nicht standhalten. Die gelten auch für Ordensschwestern wie für jede andere Person: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Solidarität begegnen. (Artikel 1 der AEMR).
Die Vertreter eines Ordens haben sich über das ursprüngliche Gelöbnis der Ordensschwestern Macht über deren persönliche Entscheidungen und Geld gesichert. Diese Macht wollen sie nicht aufgeben, wollen sie nicht einmal modifizieren, obwohl das aktuell der freie Wunsch und Wille der Betroffenen ist. Wenn sich eine 89-jährige Sprecherin der Damen als "frisch und munter" einschätzt, dann ist das ein herzerfrischendes Selbstbild und wohl kaum durch Ihre Ferndiagnose zu widerlegen.
Wir Frauen "dieses Alters" sind ganz gut, ebenso wie alte Männer, in der Lage, mit dem Tribut, den fortgeschrittene Lebensjahre fordern, umzugehen. Vielleicht hilft auch Ihnen dabei die Erinnerung an eine Vergangenheit, in der die Frauen ein System aufrecht erhielten, das sie nun auf dem Altar der Ordensgemeinschaft opfert.