Leserbrief

Viele heiße Tage, wenig kühle Köpfe

Die Welt ist nicht immer gerecht, die Politik ebenso nicht. Dass es also infolgedessen immer jemanden geben wird, der entweder mit der Welt oder mit der Politik nicht zufrieden ist, scheint genauso normal. Die- oder derjenige hat in solch einem Fall, sofern die richtigen Voraussetzungen gegeben sind, die Möglichkeit etwas daran zu ändern oder seinen persönlichen Beitrag dazu zu leisten, dass dies in Zukunft nicht mehr der Fall ist. Soweit, so theoretisch.
Wir haben in den vergangenen Monaten einige politische Umwälzungen beobachten können und müssen uns alle eingestehen, dass wir tatsächlich immer noch mitten drin sind, der 29. September lässt grüßen. Eines konnte ich bei all dem nie ganz nachvollziehen: Die ungehemmte oft skandalhafte Empörung, bei den Ibiza-Enthüllungen, dem Misstrauensvotum gegen die alte Regierung, der Ernennung von der Leyens zur neuen Kommissionpräsidentin oder die (wie vielte?) Rückkehr von Herrn Pilz. Sehen wir es einmal so: Sind wir doch froh, dass es Menschen gibt, die entscheidenden Fehltritten anderer auf die Schliche kommen, dass wir in diesem Land über einen Apparat (sprich: funktionierende Verfassung) verfügen, der eine weitere Eskalation im Ernst- (aber auch Normal-)fall verhindert, dass es auch Politiker gibt, die sich die Mühe machen, den Bogen über alle Parteifamilien zu spannen.
Damit will ich gleichzeitig aber auch nicht sagen, dass eine Demokratie gut gegen Zeiten des Wechsels abgehärtet ist. Genau hierbei wäre es aber essenziell, einen kühlen Kopf zu bewahren. "Die Politik" bleibt schließlich nach allem immer noch "nur" die Plattform, auf der unser Zusammenleben geregelt werden soll. Je weniger Bürger sich genau darüber Gedanken machen und bereit sind, sich einzubringen, desto mehr wird der Eindruck erweckt werden, die Politik arbeite "gegen" das Volk. Je mehr Beteiligte, desto repräsentativere Entscheidungen. Das hätte auch eine tatsächliche Annäherung der sooft herbeigesehnten "direkten Demokratie" zur Folge.
Spinoza stellte einmal fest, dass die Demokratie nur die idealste Staatsform sein könne, da sie jedem Bürger das Recht zum Mitentscheiden, also Mit-Regieren gebe und damit die Chancen auf Machtmissbrauch (oder etwas milder ausgedrückt: Hinterzimmerverhandlungen, auch: ibizenkische Machtgelüste) vermindert. Machiavelli erklärte uns 130 Jahre zuvor zwar, dass die Welt viel zu grausam, auf heute übertragen: unfair, um nach Tugend und Moral regiert zu werden, eine Lehre können wir aber allemal daraus schließen. Interessieren wir uns für diese Beschlüsse, die unseren Alltag prägen und entscheiden! Politik ist nie "da oben", sie ist immer hier und direkt unmittelbar vor unseren Augen. Hören wir doch genauer hin, versuchen uns die komplex scheinenden Entscheidungsprozesse mit kühlem Kopf verständlich zu machen und nicht zuletzt: Etwas mehr Mut zum Optimismus könnte uns auch nicht schaden. Oder auf bequem-österreichisch: "Wird scho werden!"

Andreas Moser (19), 5580 Tamsweg

Aufgerufen am 27.10.2025 um 10:50 auf https://www.sn.at/leserforum/leserbrief/viele-heisse-tage-wenig-kuehle-koepfe-73635832

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