Leserbrief

Frieden beginnen

Man kann dem Gastkommentar von Rudolf Striedinger nur Komplimente ausstellen. Übersichtlich aufgebaut, die Argumentation stringent und einleuchtend. Dennoch meine ich, etwas Widersprüchliches entdeckt zu haben: Herr Striedinger schreibt, bei seinem Plädoyer für eine höhere Verteidigungsbereitschaft gehe es nicht um "eine Militarisierung der Gesellschaft". Gleichzeitig bedauert er nachdrücklich, dass lediglich 36 Prozent in Österreich bereit wären, ihr Land mit der Waffe zu verteidigen. Was ist es aber anderes als Militarisierung, wenn ich mehr Bereitschaft zum Waffendienst anstrebe?
Man könnte die Verweigerung von Waffendienst auch anders sehen: Ist es nicht ein Erfolg kultureller und humaner Entwicklung, wenn der Großteil der Österreicher die primitivste Art der Konfliktlösung ablehnt? Aus vielen Erfahrungsberichten (egal ob aus den Weltkriegen, Vietnam oder anderen blutigen Konflikten) weiß man, dass Fronterlebnisse, wenn nicht letal oder physisch ruinös, in jedem Fall psychisch verheerend sind. Und ausnahmslos treiben sie den Betroffenen jede Idealisierung des brutalen Tötens und Getötet-Werdens aus.
Dass sich die Argumentation zur Wehrfähigkeit und Aufrüstung immer wieder auf den aktuellen Ukraine-Krieg bezieht, halte ich für nicht schlüssig. Auch wenn man keine genauen Zahlen hat, gehen die meisten Schätzungen dahin, dass der dreijährige Krieg bereits etwa eine Million Tote gefordert hat. Ist ein opferreicher und ergebnisloser Krieg ein gutes Argument, mehr Bereitschaft zum Waffendienst und Aufrüstung einzufordern? Gern verschwiegen wird nebenher, dass keineswegs alle Ukrainer bereit sind, ihr Leben und das ihrer Söhne zur Verteidigung gegen Russland einzusetzen. Diesbezüglich gehen die Schätzungen davon aus, dass ebenfalls beinahe eine Million das Land verlassen hat, um sich dem Militärdienst zu entziehen.
Friedensforscher versuchen, bei der Verteidigung von Werten und Demokratie alternative Strategien aufzuzeigen. Als der Warschauer Pakt 1968 die Tschechoslowakei besetzte, entschied man sich gegen militärische Verteidigung. Es gab etwas mehr als 100 Tote insgesamt. Viele Demonstrationen friedlicher Art folgten, später war die Charta 77 ein Meilenstein, 1989 kehrte mit der "Samtenen Revolution" die Demokratie zurück. Was ich meine, ist: Alternativen zur primitivsten aller Konfliktlösungen, nämlich einander totzuschießen, wären zumindest etwas ernsthafter in Erwägung zu ziehen. Auch eine vor allem um Deeskalation bemühte Diplomatie. "Einer muss den Frieden beginnen, wie den Krieg." (Stefan Zweig)

Mag. Peter Reutterer, 5302 Henndorf

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