Leserbrief

Pandemie und Krieg: Bemühungen brauchen Zeit

Wenn wir etwas aus der Zeit der pandemischen Krise lernen können, dann kommen wir nicht an der Frage vorbei, wie wir mit den politisch Andersdenkenden umgehen. Wir erinnern uns: Wer sich skeptisch gegenüber der Impfpflicht ausgesprochen hat, war gleich ein Schwurbler oder eine Verschwörungstheoretikerin. Wer aus Sorge um die Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems zur Vorsicht mahnte, gleich ein systemgläubiger Angsthase. Diese Fehler drohen wir im Kontext des Krieges in der Ukraine zu wiederholen. Auch heute ist jeder, der der Ukraine das Recht zugesteht, sich militärisch zu verteidigen, gleich ein Kriegstreiber und diejenige, die vor der militärischen Eskalation warnt oder eigene Anteile am Konflikt thematisiert, eine naive Putinversteherin.
Was wir in dieser bedrohlichen Krise benötigen, ist jedoch eine differenzierte Auseinandersetzung mit einer hoch komplexen Konfliktlage sowie Akteur/-innen mit unterschiedlichsten Zugängen und Kompetenzen.
Wir brauchen die Stimmen der Menschen aus der Ukraine und aus Russland, die beharrlich auf den täglichen Skandal dieses Krieges aufmerksam machen, auch wenn uns das unangenehm ist. Wir brauchen die Stimmen der Militärs, die mäßigend und pragmatisch die Gratwanderung zwischen legitimer Selbstverteidigung und drohender militärischer Eskalation wagen und dadurch nicht selten zwischen die Stühle geraten.
Und wir brauchen die Stimme und Kompetenz von Menschen und Organisationen, die im Sinne einer Friedenslogik Wege aus diesem Krieg und der Eskalationsdynamik suchen und weisen. Das wird keine Autobahn sein, sondern eine Vielzahl von Initiativen globaler, staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteurinnen. Der Kampf um Frieden, soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte wird ein andauernder bleiben und die Arbeit an langfristigen Dialog- und Versöhnungsprozessen auch hierzulande nicht weniger werden. Diese Bemühungen brauchen Zeit, Raum, personelle und finanzielle Ressourcen. Dafür werden wir ein Sondervermögen nach deutschem Vorbild brauchen, damit aus diesem Krieg nicht nur die Rüstungsindustrie als Gewinner hervorgeht.

Hans Peter Graß, Friedensbüro Salzburg, 5020 Salzburg

Aufgerufen am 11.09.2025 um 12:15 auf https://www.sn.at/leserforum/leserbrief/pandemie-und-krieg-bemuehungen-brauchen-zeit-135501961

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