Der Vorgang ist bekannt: Korruption in Form von Missbrauch von Amtsgewalt, Überführung durch erdrückende Beweise, Unschuldsbeteuerung, im letzten Moment Schuldeingeständnis, Diversion. Eine klare Angelegenheit, die nicht missverstanden werden kann. Wöginger hat sein Amt missbraucht, jahrelang gelogen, alles offensichtlich. Möchte man meinen. Wenn man aber der Ethikkommission der ÖVP zuhört, fühlt sich das ganz anders an. Nach der seltsamen Aussage des Bundeskanzlers, "Wöginger verlässt das Gericht als unbescholtener Mann", folgte eine Stellungnahme von ÖVP-Ethikrat-Mitglied Fasslabend, der den ganzen Vorgang als "im Sinne der üblichen Aufgaben von politischen Mandataren" abtut. Zudem handelte es sich laut Waltraud Klasnic dabei um ein "Bürgeranliegen", um das sich Wöginger gekümmert hat. Ist das die Ethikauffassung der Politik der Gegenwart? Oder nur jene der ÖVP? Würde in diesem Sinne Watergate - 1972 die schwerste Krise der amerikanischen Präsidentschaft - von der oben genannten Ethikkommission heute neu verhandelt werden, müsste Richard Nixon höchstwahrscheinlich nicht zurücktreten. Mehr als Lügen, Intrigen und Machtmissbrauch konnte man Nixon auch nicht nachweisen. Ein Fall für eine Diversion? Heute sicherlich. In diesem Sinne hat Fasslabend recht, dass man die Politik von früher nicht mit der heutigen vergleichen kann …