Ischgl-Blues
Der Ischgl-Blues ist ein Song, den der Saalbacher Hotelierssohn Marcus Hinterberger im Herbst des Corona-Jahres 2020 veröffentlichte und bis Ende November 400 000 Aufrufe verzeichnete.
Hintergrund
Vor dem Hintergrund des zweiten lockdowns im Verlauf der Corona Pandemie, der die wirtschaftliche Fremdenverkehrs-Wintersaison, im Speziellen das Weihnachtsgeschäft retten sollte, lagen bei den Verantwortlichen im Fremdenverkehrssektor und der Seilbahnwirtschaft die Nerven aufgrund der ungewissen Zukunft blank. Das zeigten auch die Reaktionen, die der Saalbacher Marcus Hinterberger (20) mit seinem "Ischgl Blues" ausgelöst hat. Hinterberger stammt aus einer Hoteliersfamilie, studiert Regie und Schauspiel und macht Musik. In seinen Liedtexten nimmt er zum Teil Bezug auf aktuelle Ereignisse.
Das Lied
Am 9. November 2020 stellte er einen "Ischgl Blues" ins Netz und machte sich darin über den Tiroler Skiort und Porsche fahrende Seilbahner lustig ("Jo, mei Voda, der woa Baua, oba i bin Hotelier. Jo, außi mit de Fåcken und stopf eini in Stoi de Gäst."). Dann habe Corona die Umsätze schwinden lassen. Aber ein neuer Weg ("Statt Flügerl gibts Cuvée. An rotn Teppich für die Preißn.") werde Ischgl retten.
Amüsierte Reaktionen und ein Shitstorm
Der Musiker erntete für sein Lied neben vielen amüsierten Reaktionen auch einen Ischgler Shitstorm in den sozialen Medien. Und der Vorstand der Silvrettaseilbahn AG[1] schickte ihm einen Brief, der ironisch beginnt: "Wie wir hören, liebäugeln Sie in Zeiten wie diesen, in denen die Umsätze unserer Bergbahn ,dahin' sind, mit dem Posten des Seilbahnvorstandes in Ischgl. Gerne können wir Ihnen diese Position anbieten. Ein Abschluss oder sonstige Qualifikationen werden selbstredend nicht verlangt. Sie sollten jedoch ein wenig Erfahrung im Porschefahren und Geldausgeben beim Après-Ski mitbringen."
Im restlichen Brief bleibt dann der Humor auf der Strecke: "Fast hätten wir es vergessen." Zu den Aufgaben als Vorstand zähle es auch, Hunderte Arbeitsplätze zu sichern. "Alles andere, wie beispielsweise das sich ständig wiederholende Heruntermachen Ihrer Heimatgemeinde ausgerechnet durch Menschen, die selbst aus einem touristischen Umfeld und aus einer - im Übrigen ebenfalls sehr erfolgreichen - Tourismusregion stammen, müssen Sie eben mit Humor nehmen. Ob es sich dabei um tiefgründige Satire handelt oder um das niveaulose ,Werk' eines in seinen Aussagen schlicht primitiven und im Übrigen nicht einmal sonderlich witzigen Möchtegernkünstlers, tut dabei nichts zur Sache."
Weiter heißt es, Ischgl tue es um jeden einzelnen Infizierten leid. Inzwischen wisse man aber, dass solche Infektionen nicht nur in Ischgl passierten. "Freilich gibt es ungeachtet dessen immer noch Menschen, die es nicht lassen können, sich für ein paar Klicks oder Likes weiterhin auf Kosten von Ischgl zu profilieren. Dass ihr unsäglicher ,Ischgl Blues' besonders bedeutsam wäre, wollen wir damit natürlich nicht zum Ausdruck bringen." Nur in einem Punkt gebe man Hinterberger recht. Ischgl werde diese Zeiten hinter sich lassen und wieder gewinnen.
Saalbachs Tourismuschef: "Es geht um die Existenz"
Auch aus dem Glemmtal habe es einige Kritik gegeben, sagt Hinterberger. Darunter vom Chef des Tourismusverbandes, Wolfgang Breitfuß, der bat, den Song unverzüglich aus dem Netz zu nehmen. Breitfuß sagt, künstlerische Freiheit in Ehren, aber er finde das Lied nicht in Ordnung. "Die Zeit ist sehr schwierig und es geht bei vielen um die Existenz." Zudem sei das Video auf dem Bernkogel in Saalbach aufgenommen worden. "Da könnten manche meinen, dass es von uns kommt."
Hinterberger sagt, er verstehe, dass es um Existenzen gehe, aber man lebe nicht in einer Tourismus-Diktatur. "Es geht um die Meinungsfreiheit." Dennoch entfernte er das Lied, auch aus Rücksicht auf seine Familie. "Ich finde es schade, dass für Satire und Humor bei vielen Menschen kein Platz mehr ist."
Hans Söllner: "Genial erklärt, genial gespielt"
Dann hatte die Sache aber eine enorme Eigendynamik entwickelt. Der 20-Jährige schickte das Video an den bayerischen Liedermacher und Rebellen Hans Söllner. Der bekannte sich sofort als Fan. Söllner schreibt: "Genial erklärt, genial gespielt, genial gesungen, aber ich kann dir aus Erfahrung sagen, dass die Wahrheit immer dem wehtut, der sich in dieser Wahrheit als Lügner ertappt fühlt." Söllner empfahl Hinterberger, beim nächsten Mal keine Kommentare zu lesen. Und er hatte das Video auf seiner eigenen Facebook-Seite veröffentlicht, wo es binnen fünf Tagen über 150 000 Aufrufe hatte.
Als es auf diese Weise ohnehin schon jeder kannte, stellte es Hinterberger auch wieder auf seinen YouTube-Kanal.
Als der junge Musiker den "Salzburger Nachrichten" seine Geschichte erzählte, stieg die Zahl der Aufrufe noch einmal stark an. In der Folge meldeten sich auch andere Zeitungen, Radiostationen und TV-Sender aus ganz Österreich bei ihm. "Es gab Medienanfragen im Stundentakt", sagt Hinterberger. Finanziell hat ihm die Aufmerksamkeit nichts gebracht. Nur als Straßenmusiker verdiente er bisher mit seiner Musik Geld. Aber das könnte sich ändern. Plant er Konzerte oder professionelle Aufnahmen? Hinterberger: "Es gibt Pläne und Gespräche, aber es ist noch nichts spruchreif."
Aus Tirol hat er nichts mehr gehört. Offenbar hat man aus dem Streisand-Effekt gelernt. Der Name der Sängerin Barbra Streisand steht für den Versuch, eine Information unterdrücken zu wollen und damit das Gegenteil zu erreichen. Sie klagte auf 50 Millionen US-Dollar Schadenersatz, weil ihr Haus auf Luftaufnahmen für wissenschaftliche Zwecke im Netz erschien. Dadurch wurde erst richtig bekannt, wo sie wohnt, und das Foto verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Normalerweise schauen es sich ein paar Hundert Leute an, wenn Marcus Hinterberger ein neues Lied auf seinen YouTube-Kanal stellt. Also im Prinzip ein erweiterter Verwandten- und Bekanntenkreis. "Beim Ischgl-Blues sind es bisher 125 000 gewesen",[2] sagt der aus Saalbach stammende Student und Hobbymusiker. Dazu kommen fast 300 000 Aufrufe des Ischgl-Blues auf der Facebook-Seite des bayerischen Liedermachers Hans Söllner. Inzwischen wurden auch andere Lieder von Hinterberger, bei denen er sich zu selbst verfassten kritischen Texten mit der Gitarre begleitet, oft angesehen. "Mein Ibiza-Lied hat auch schon 30 000 Klicks und beim Quarantäne-Lied sind es 20 000."
Quellen
- www.sn.at, Misstöne aus dem Glemmtal - Musiker aus Hoteliersfamilie löst mit "Ischgl Blues" Wirbel aus, 23. November 2020, ein Beitrag von Anton Kaindl
- www.sn.at, 400 000 Aufrufe für den Ischgl-Blues des Saalbachers Marcus Hinterberger, 1. Dezember 2020, ein Beitrag von Anton Kaindl
Fußnoten
- ↑ Gesellschafter siehe www.firmenabc.at
- ↑ Stand 1. Dezember 2020