So sah ich mein Leben
Buchtipp So sah ich mein Leben
- Autor: Hugo Portisch
- Herausgeber: Hannes Steiner
- Verlag: story.one
- Erscheinungsjahr: 2021
- ISBN 978-3-903715-02-8
Verlagsinformation
Aufgezeichnet von Hannes Steiner, bearbeitet und in einen historischen Kontext gestellt von Martin Haidinger.
Im Sommer 2010 bittet der damals 83-jährige Hugo Portisch seinen viel jüngeren Freund und Verleger in sein Haus in die Toskana zu kommen, um ihm sein Leben zu erzählen.
Es wird eine 30-stündige abenteuerliche Reise um die ganze Welt.
Hugo Portisch, so wie er wirklich war und wie ihn keiner kennt: auf der Flucht, in Haft am Flughafen von Havanna, geheim im Zentrum der Macht in China. Immer dort, wo auf der Welt gerade etwas passiert und mittendrin – Journalist, Akteur, Freiheitskämpfer, aber in erster Linie immer Mensch und Humanist. Und er gibt Hannes Steiner auch gleich den Auftrag diese Inhalte nach seinem Tod zu veröffentlichen.[1]
Rezension 1
Hugo Portischs Gruß aus dem Himmel
Ein erfülltes Leben - erzählt in fünf Tagen. Hugo Portisch erzählte seinem Verleger 2010 sein Leben. Jetzt liegt diese magische Woche in Buchform vor.
Flirrende Hitze. Das Thermometer zeigt 40 Grad im Schatten. Der Toskana täte Regen gut. Wir schreiben das Jahr 2010. Der Salzburger Verleger Hannes Steiner hat sich eine Woche im Landhaus von Traudi und Hugo Portisch einquartiert. "Es war magisch. Aber Urlaub war das nicht", sagt Steiner heute. Portisch sollte sein Leben erzählen. In fünf Tagen. Der Doyen des österreichischen Journalismus war angetan von dieser Idee. Er stellte nur eine Bedingung: "Das Buch darf erst nach meinem Tod erscheinen." Dafür könne Steiner dann damit auch tun, was er wolle. Das geschah jetzt. Titel: "So sah ich mein Leben" (Verlag story one). Woher kam diese Bindung zu Steiner? Von Portisch wurde alles veröffentlicht, was er verfasst hat. Nur ein Manuskript wollte niemand haben. Das waren seine Erinnerungen, wie er in der Toskana dieses Landhaus gekauft und langsam Fuß in der Dorfgemeinschaft gefasst hatte. "Will keiner haben", sagte Portisch. Steiner wollte. Es erschien 2009 unter dem Titel "Die Olive und wir". Es war Portischs Lieblingsbuch. Und sein erfolgreichstes.
Im Sommer 2010 zogen sich die beiden auf der Flucht vor der Hitze immer tiefer zurück in ihr Landhaus. Wie in ein Schneckenhaus. Schließlich blieben sie im Arbeitszimmer. Das war der einzige Raum mit Klimaanlage. Portisch holte weit aus. Er erinnert sich an seine Lehrer, die ihn im katholischen deutschen Gymnasium in Bratislava geprägt haben. Da war zum Beispiel sein Englischlehrer. Als 1941 Roosevelt und Churchill nach der Unterzeichnung der Atlantik-Charta "Onward, Christian Soldiers" sangen, sang er es mit seinen Schülern nach. Oder sein Religionslehrer, ein Pfarrer namens Klecka. Das war ein Schlesier, der vor den Nazis aus Breslau geflüchtet ist. Immer wenn er die Hand zum Hitlergruß erheben musste, tat er es mit den Worten: "Heil Hitler im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Vater unser, der du bist im Himmel ..."
Widerständige Lehrer formten einen widerständigen Geist
Und da war dann noch der Geschichtslehrer Gratzer, der sich einmal lautstark mit dem Ruf "Liberté, égalité, fraternité!" verabschiedete. "Das hat mich sehr geprägt", sagte Portisch. Ein paar Jahre später: der große Schock. Portisch erhielt ohne Prüfung ganz formlos sein Maturazeugnis. Was gleichzeitig bedeutete, dass er somit als "Volksdeutscher" automatisch in die Waffen-SS nach Wien einrücken musste. Aber er hörte, dass dort ein korrupter SS-Offizier die Marschbefehle ausgab. "Der hieß Heilig, ausgerechnet Heilig", erzählte Portisch. Es gelang ihm, den Offizier mit Schnaps und Zigaretten zu bestechen, dass er den Marschbefehl nicht an die Front, sondern nach Prag ausstellte. Er durfte sogar drei Freunde mitnehmen. "In Böhmen erlebt der 18-jährige Hugo das Kriegsende und flieht, diesmal als ,Deutscher', vor den Tschechen nach Österreich", notiert Steiner. Portisch dazu: "Ich hatte jeden Tag eine solche Freude, am Leben zu sein. Jeden Tag wie ein Morgen- und Abendgebet war das für mich. Freiheit! Du kannst tun und lassen, was du willst. Und nie wieder Diktatur!"
Die Tage in der Toskana vergingen schnell. Vormittags wurde erzählt. Dann gab es Mittagessen. Gekocht von Paulo und Flora, den beiden über 80-jährigen Hausangestellten. Nachmittags wurde weitererzählt. Dazwischen gingen die beiden immer wieder spazieren. Portisch besaß hier 800 Olivenbäume. Sie besuchten die Kooperative, wo das Öl gepresst wird. Es wurde auch viel geschwiegen. Pausen sagen oft mehr als tausend Worte. Einmal, so erzählt Steiner, sei er während einer Erzählung Portischs gedanklich abgeschweift. "Er hat das sofort bemerkt", sagt Steiner. "Oh. Ist das nicht interessant für dich?", meinte Portisch.
1954 arbeitete Portisch für Bundeskanzler Julius Raab. Da erhielt er ein Telegramm des Journalisten Hans Dichand. Der schrieb: "Bin soeben Chefredakteur des Neuen Kurier geworden. Lade dich ein, mit mir die Zeitung zu machen. Schon die Türken fanden, dass es sich auszahlt, von weit her zu kommen, um Wien zu erobern. Dein Hans". Der Kanzler saß daneben und las das mit. Er sagte: "Das werden Sie doch machen, nicht?" - "Ja, ich nehme an, dass ich's machen werde", meinte Portisch. Schon in der nächsten Stunde schrieb er zurück: "Bin Türke. Komme. Dein Hugo". Dichand und Portisch erfanden dann unfreiwillig die Gratiszeitung. Als die beiden 1955 exklusiv berichteten, dass Österreich den Staatsvertrag erhält, alle Gefangenen heimkehren dürfen und die Siegermächte abziehen werden, glaubte das kein Mensch. Weshalb auch niemand für die Zeitung bezahlen wollte. Portisch und Dichand verschenkten die Ausgaben also in der Kärntner Straße.
Die Erinnerungen an seine Karriere lesen sich heute wie ein Agententhriller. 1956 machte er Bekanntschaft mit der Geheimpolizei, als der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser die Suezkanal-Gesellschaft verstaatlichte. Außerdem holte er kommunistische Berater ins Land. Portisch recherchierte in Ägypten und wurde von einem Oppositionellen namens Munir unterstützt. Die beiden flogen in einem Segelflugzeug über die Pyramiden. Nachdem sie landeten, teilte ihm Munir mit, dass er sofort zum Flughafen müsse. Angeblich wollten ihn DDR-Geheimpolizisten in Gewahrsam nehmen. "Da ging es dann flott heim. Über Rom nach Wien." Portisch galt unter den Mächtigen der Welt bald als Sprachrohr. Was nicht nur seiner Qualität, sondern auch der Neutralität Österreichs geschuldet war. Der chinesische Marschall Chen Yi etwa erzählte ihm 1964, dass China kein Interesse an Vietnam habe. Was damals einen Freibrief für die Amerikaner darstellen sollte, sich in dem Land militärisch einzumischen. Kuba empfand er noch ärger als die DDR. Dort traf er sich 1963 mit einem Reuters-Journalisten. Bei der Ausreise wurde sein Koffer durchwühlt und aufgeschnitten. Die Beamten suchten nach seinem Notizbuch. Dann gingen sie kurz aus dem Raum. Portisch hatte einen Gedankenblitz, holte sein Notizbuch aus der Jackentasche und warf es in den bereits durchsuchten Koffer. Tatsächlich kam es dann zu einer Leibesvisitation. Es wurde nicht gefunden. Weil es ja im bereits wieder verschlossenen Koffer war.
Am Ende der Woche flog Steiner unter dem toskanischen Sternenhimmel die letzte Frage zu: "Was soll auf deinem Grabstein stehen?" Portisch: "Vergesst mich." Aber es wäre nicht Portisch gewesen, hätte er nicht schelmisch hinzugefügt: "Im Buch ,Die Broke' empfiehlt der Autor, dass man mit seinem letzten Scheck sein Begräbnis zahlen soll. Und dieser Scheck ist - ungedeckt."
Rezension 2
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Quelle
- Rezension von Peter Gnaiger in den Salzburger Nachrichten (29. April 2021)
Einzelnachweis
- ↑ www.ots.at/presseaussendung, 26. April 2021