Flucht in der NS-Zeit

Flucht in der NS-Zeit war bei Ausländern wie Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeitern meist ein Versuch, schlechten Arbeits- und Lebensverhältnissen zu entkommen, die Freiheit wieder zu erlangen um die Heimat wiederzusehen. Hinter der Flucht einheimischer Wehrmachtsangehöriger, Fahnenflucht genannt, stand hingegen die Absicht, dem Wehrdienst zu entrinnen.

Allgemeines

Flucht ist von je her die Reaktion von Mensch und Tier, wenn - in die Enge getrieben - kein anderer Ausweg möglich scheint. Flucht ist immer der Versuch, einer schon eine Weile andauernden und als unerträglich erlebten Situation, oder einem akut auftretenden, als unauflöslich empfundenen Konflikt zu entkommen. Die Flucht als Mittel zur erhofften Erlösung aus einer Not wird von jeher von einzelnen Menschen oder von ganzen Gruppen gewählt. Manche Fluchtversuche mögen von langer Hand geplant sein, andere erfolgen spontan und völlig unvorbereitet.

Kriegsdienst und Zwangsarbeit als Ausgangslage

Eine sehr kleine Anzahl von Angehörigen der Deutschen Wehrmacht hatte den Mut, ihren Truppenverband unerlaubt zu verlassen und zum Feind überzulaufen oder nicht mehr aus dem Urlaub zurückzukehren. Ihre Desertion endete sehr oft tödlich. Ein in Salzburg bekanntes Beispiel sind die Goldegger Deserteure. In Österreich wurden Wehrmachts-Deserteure generell erst in den letzten Jahren juristisch rehabilitiert und deren Leistung für die Wiedererstehung und Unabhängigkeit unseres Staates, erst mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges offiziell anerkannt.

Millionen von Kriegsgefangenen und zivilen ausländische Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen wurden in der nationalsozialistischen Diktatur gegen ihren Willen interniert und zur Zwangsarbeit verpflichtet. Die meisten von ihnen hatten naturgemäß den Wunsch in die Heimat zurück zu kehren oder jedenfalls die Freiheit wieder zu erlangen. Dennoch wagten in der Regel nur einzelne die Flucht, da diese wenig aussichtsreich und in jedem Fall hochriskant war.

Der immer wieder vorgekommene Tod Einzelner im elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun eines Konzentrationslagers war die Flucht aus einem unerträglich gewordenen Leben oder das Ergebnis einer gezielten Hetzjagd durch SS-Schergen.

Bekanntestes Beispiel für eine Massenflucht war jene einer großen Gruppe sowjetrussischer Internierter aus dem Konzentrationslager Mauthausen, bekannt unter der Bezeichnung Mühlviertkler Hasenjagd. SS-Schergen und Einheimische machten gemeinsam Jagd auf diese Menschen und brachten alle bis auf wenige, die von anderen Menschen vor Ort gerettet wurden, um.

Auf der Flucht erschossen lautete das Schicksal einer bisher unbekannten Anzahl an Deserteuren, Regimegegnern, Kriegsgefangenen und zivilen ausländischen Zwangsarbeitern, die in der NS-Zeit interniert waren. "Auf der Flucht erschossen" konnte sich auf real Vorgefallenes beziehen oder aber auch der Tarnung willkürlicher Tötungen, die damit legitimiert werden sollten, dienen.

Fluchtgründe

Fluchtgrund war bei Wehrmachtsangehörigen der Unwille, weiterhin für dieses Unrechtsregime zu töten. Bei ausländischen Arbeitern und Kriegsgefangenen waren es meist die Arbeits- und Lebensverhältnisse, die nicht selten von Ausbeutung, menschenunwürdiger Behandlung und schlechter Versorgung geprägt waren. Auslöser für die Umsetzung bereits bestehender Fluchtpläne war wohl eine Gelegenheit, die genutzt wurde. Anlass für eine spontane Flucht konnte ebenfalls eine plötzlich auftretende Gelegenheit oder ein Konflikt mit dem Dienstgeber oder einem Lager-Aufsichtsorgan sein.

Bei aufrechten Dienstverhältnissen erfolgte durch eine Flucht ein sogenannter Arbeitsvertragsbruch, ein in der NS-Zeit geschaffenes Delikt, das dazu diente, Disziplinierungsmaßnahmen gegenüber Dienstnehmern und Dienstnehmerinnen zu rechtfertigen. Grundsätzlich auch für freiwillig zustande gekommene Dienstverhältnisse von Inländern geltend, wurde dieser "Rechtsbruch" vor allem bei zwangsverpflichteten ausländischen Arbeitskräften geahndet, was in den Zuständigkeitsbereich der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) fiel und meist schwerwiegende Folgen nach sich zog.

Ab Anfang 1942 finden sich im Pinzgau die ersten Hinweise auf Fluchten von ausländischen Arbeitern. Ende Dezember 1942 flüchteten aus einem Lager in Kaprun fünf Ostarbeiter. Im Juni 1944 wurden in Krimml sechs Italiener, die von ihrem Arbeitsplatz geflohen waren, verhaftet. In Taxenbach wurden in einem einzigen Jahr gar 77 Personen – wohl meist wegen Arbeitsvertragsbrüchen - gefangen genommen und in das Polizeigefängnis nach Salzburg eingeliefert. Das sind nur einige von vielen vergleichbaren Vorfällen, die allein aus drei Gemeinden im Pinzgau bekannt sind. Ähnlich wird es sich in den anderen Bezirken des Landes zugetragen haben. Aus dem damaligen Landkreis Hallein ist beispielsweise bekannt, dass im Jänner 1942 polnische Landarbeiter geflüchtet waren.

Gemeinsam war den meisten der damals Geflohenen, dass sie bereits kurze Zeit nach ihrer Flucht entdeckt und diversen Strafmaßnahmen zugeführt wurden. Diese reichten von Gestapo-Haft, über die Einweisung in eine Haftanstalt wie München-Stadelheim, in ein Arbeitserziehungslager oder in ein Konzentrationslager, was zuweilen das Todesurteil bedeutete. Gemeinsam war ihnen auch, dass ihr Flucht-Schicksal nach Ende des Zweiten Weltkrieges meist verdrängt wurde und damit in Vergessenheit geriet oder erst nach langer Zeit und oft nur durch einen Zufall geklärt werden konnte. Ein Buch über die Fluchten, die sich in der NS-Zeit auf Salzburger Boden ereignet haben, muss erst noch geschrieben werden.

Drei exemplarische Flucht-Schicksale, die sich in Salzburg zugetragen haben

Quellen

  • Rudolf Leo, Bruck unterm Hakenkreuz, Otto Müller Verlag, Salzburg 2015, S. 80-S. 83;
  • Christina Nöbauer, Alltagsgeschichte erlebt und erzählt, Arbeits- und Lebensverhältnisse in der Provinz, ein Projekt der Volkshochschule Salzburg, gefördert vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Projektleiter Norbert Ortmayr, Salzburg, April 1991;
  • Alois Nußbaumer, "Fremdarbeiter" im Pinzgau – Zwangsarbeit – Lebensgeschichten, S. 89 – 99;
  • Schriftliche Information Archiv KZ-Dachau, Gutkow und Makuschin betreffend, vom 19. Jänner 2012;