Jeremy der unter dem Traklsteg lebt

"Dreadlock Jimmy" 56 sek. Video

Der 27-jährige Jeremy, gelernter Zahntechniker, haust unter dem Traklsteg in Itzling in der Stadt Salzburg.

Dieser Mann lebt seit zweieinhalb Jahren unter der Brücke

Sigrid Scharf und Birgit Kaltenböck von den Stadt Nachrichten sprachen im Mai 2021 mit Jeremy.

Auch wenn er sagt, dass er freiwillig ausgestiegen ist, so ganz stimmt das nicht. Es sind die "Klassiker", die ihn abrutschen und aus dem System gleiten ließen: ein Streit mit dem Stiefvater Anfang 20, vorübergehendes Hausverbot, Termine beim Amt, die er (scheinbar) nicht einhielt, Sperre der Zuschüsse.

"Irgendwann wurde mir das zu deppert." Die Wohnung war weg, der Job war weg. Zunächst kroch der junge Mann bei Freunden unter, irgendwann kletterten die Temperaturen nach oben und er selbst unter den Traklsteg, wo zum damaligen Zeitpunkt bereits ein "Kollege" wohnte.

Sein Compagnon bekam mittlerweile eine Wohnung zugesprochen. Jeremy sitzt zweieinhalb Jahre später immer noch unter der Brücke. Er schläft auf einem Matratzenlager, kocht mit geschenktem Brennholz am offenen Feuer, lebt von Lebensmitteln, die ihm Salzburger vor sein "Quartier" stellen. In einem Monat feiert er seinen 27. Geburtstag. Die Bewohner der umliegenden Siedlung nennen ihn wegen seines Äußeren "Dreadlock Jimmy" und versorgen ihn ab und zu ein wenig mit. Am meisten freute ihn eine gebrauchte Matratze, Decken und Polster. Während er - seinem Lager unter dem Brückenkopf nach zu schließen - mit Kleidung überversorgt wirkt, ist der gelernte Zahntechniker für jegliches Essen dankbar. "Mit diesen Gaben und 50 Euro komme ich ein halbes Monat über die Runden", erzählt Jeremy. Er habe unter der Brücke gelernt, viel besser mit Geld umzugehen: "Früher habe ich noch den letzten Rest auf den Putz gehauen, heute teile ich mir das Bisschen, das ich habe, besser ein."

Nach Jahren auf der Straße weiß er, was Hunger ist. Es gibt Tage, an denen er kaum etwas isst. Manchmal suche er sich essbare Pflanzen in der Natur. Man lebe draußen freier und unabhängiger, mehr mit der Natur, aber auch abhängiger von ihr.

Vom technischen Schnickschnack wie ihn Gleichaltrige lieben, hält und hat er wenig. Konsole, Fernseher, Tablet, das alles spielt es nicht. Über ein Handy verfügt Jeremy, es hat ihm gute Dienste geleistet, in Notfällen und um mit den Ämtern in Kontakt zu bleiben. Aber, im Freien lebend, "schaut man halt weniger oft auf das Handy und dafür auch einmal rauf zu den Sternen." Jeremy, gelernter Zahntechniker - und Philosoph obendrein?

Ein Freund gewährt ihm bei Minusgraden ein Dach über dem Kopf

In der Bibliothek habe er sich jedenfalls informiert, was genau man von den Wildpflanzen essen könne. Oder er trinke eben mehr, vor allem wenn es kalt ist. Ein Kumpel gewährt ihm ein Dach über dem Kopf, wenn die Temperaturen fallen und es draußen kaum mehr zum Aushalten ist. "Nach so langer Zeit fühle ich mich aber sehr eingeengt, wenn ich in einem Zimmer schlafe." Eine Freundin, die in einer Bäckerei arbeitet, bringt das restliche Brot aus der Backstube unter den Steg. Sie war es auch, die irgendwann die Caritas auf Jeremy aufmerksam gemacht hat. Jetzt kümmert sich eine Sozialarbeiterin regelmäßig um den jungen Mann. Mit der Gesellschaft hadert er nicht: "Nein, ich bekomme ausreichend Hilfe." Mit seiner Familie hat er sich wieder versöhnt. Vor einem Jahr hätte der Aussteiger bereits in eine Wohnung ziehen können. Aber die Lage in Aigen-Parsch gefiel nicht. Da warte er lieber auf die "richtige Wohnung", sagt Jeremy. Er wolle im Raum Maxglan, Liefering, Taxham bleiben. Hier sei er aufgewachsen, hier kenne er die Leute. Menschen, die man in der Nähe weiß und die einem im Notfall helfen können oder eine Rückzugsmöglichkeit gewähren, sind für ihn das Wichtigste in seiner Situation. Ein Bekannter ums Eck habe ihm einmal mit Medikamenten ausgeholfen, als er krank wurde.

So frei und mitunter belebend das Vagabunden-Leben auch sein kann, es gibt viele Schattenseiten: Ratten als Haustiere oder ungebetene Gäste, die ihn als "Asylanten" beschimpfen, "obwohl ich gebürtiger Österreicher bin", wie er im Salzburger Dialekt spürbar betroffen erzählt. Oder Zeitgenossen, die mit Blick auf sein Lager Dinge sagen, wie: "Der besitzt hier ja weit mehr als wir daheim." Auch bei Magistrat und Polizei ist Jeremy kein Unbekannter. Man lässt ihn aber in Ruhe. "Solange ich einigermaßen Ordnung halte", fügt Jeremy hinzu. Auf die Frage, wie er Luxus definiert, antwortet er schnell: "Das sind vier eigene Wände, in denen man es warm hat und sich abends etwas Feines kochen kann."

Vor dem nächsten Winter möchte der gelernte Zahntechniker wieder "drin sein", die Sozialarbeiterin unterstützt ihn nach Kräften. Der junge Mann kann sich gut vorstellen, auch seine Arbeit als Zahntechniker wieder aufzunehmen. "Zuvor brauche ich aber die Wohnung und damit die Möglichkeit, jeden Tag duschen zu können." Den Beruf des Zahntechnikers hat Jeremy vier Jahre lang gelernt und nach dem Zivildienst beim Samariterbund in Maxglan auch ausgeübt. Als sich seine Oma das Bein brach, sah er nach ihr und kochte eine Zeit lang für sie. Ihrem Vorschlag, doch als Koch zu arbeiten, kann er aber nichts abgewinnen. Mit den eigenen Händen etwas schaffen, das will er schon. Unter der Brücke stehen ein paar Schnitzereien. Von ihm? Nein, einer seiner Freunde schnitzt.

Seine Träume hat Jeremy noch nicht begraben. "Eine Familie, zwei Kinder, ein Haus, ein Auto, ein Motorrad", das sei immer sein Kindheitstraum gewesen. Klingt nach einem bürgerlichen Lebensentwurf. Daran halte er fest. Und worauf wird er zurück blicken, wenn er an diese Zeit unter der Brücke denkt? "Wie wenig es zum Leben eigentlich braucht."

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