Doraja Eberle gibt Antworten zur Flüchtlingsbewegung in Salzburg

Doraja Eberle gibt Antworten zur Flüchtlingsbewegung in Salzburg
Einleitung
Aufgrund der Entwicklung der Flüchtlingsbewegung 2015 stand Doraja Eberle – die ehemalige Landesrätin ist mit ihrer Organisation "Bauern helfen Bauern" seit Jahren in Bosnien und Kroatien unterwegs, um Menschen in Not zu helfen – am SN-Telefon zwei Stunden lang Rede und Antwort auf Fragen.
Seit die Flüchtlingskrise in Österreich akut geworden ist, hilft sie – in Zeltlagern, am Hauptbahnhof, in Containern in der Schwarzenbergkaserne, wo immer jemand gebraucht wird.
Am Freitag, den 10. Oktober 2015, stellte sie sich zwei Stunden lang den Fragen der SN-Leser. Und das Interesse war so groß, dass die Hotline auch nach zwei Stunden nicht stillstand. Gut 25 Anrufe nahm Eberle entgegen. Manche wollten ihr einfach nur persönlich ihre Meinung sagen, manche ihre Sorgen äußern, andere Rat einholen. Wobei die Stimmungen weit auseinanderklafften.
Am öftesten wurde der Müll angesprochen
Eine Anruferin aus Lengau meinte: "Wie stellen Sie sich das vor. Da gibt's Bilder von dreckigen Abteilen in Zügen. Wie das alles ausschaut – ist das der Dank dafür? Es war einmal ein sauberes Österreich." Oder ein Anrufer aus Bischofshofen, der fragte: "Der ganze Dreck, den sie liegen lassen, wer zahlt das alles? Haben sie in ihrer Heimat nicht gelernt, dass man Müll nicht einfach wegwirft?"
Eberle antwortete mit Verständnis. "Ja, da geb ich Ihnen recht. Ihren Mist und eigenen Dreck müssen sie wegräumen und ich halte die Flüchtlinge auch dazu an und sage ihnen das. Ich verteidige die Flüchtlinge nicht. Ich muss schon sagen, dass wir sie zum Teil überversorgen und den Großteil lassen sie dann eben liegen. Wir geben ihnen mitunter zu viel – noch drei Pullover und fünf Paar Schuhe und drei Wasserflaschen. Das können sie auf der Flucht ja alles nicht schleppen. Da müssen wir uns zurückhalten. Viele behalten die Sachen aber auch, weil sie froh darüber sind."
Bei 75 000 Flüchtlingen in den vergangenen Wochen sei es aber verständlich, dass nicht alles sauber sein könne. "Ich wohne in Grödig. Nach einem Fußballspiel schaut's bei uns ja auch aus, dass mir schlecht wird. Und das sind keine Flüchtlinge." Dankbar seien die Flüchtlinge sehr wohl. "Wenn sie nicht dankbar wären, dann würde ich dieses Ehrenamt auch nicht länger machen", betont Eberle.
Die kommen doch alle aus sicheren Ländern
Was sie an Argumenten am meisten störte, waren Verallgemeinerungen wie "die kommen doch alle aus sicheren Ländern". Dagegen protestiert Eberle scharf. "Wir reden immer von allen Flüchtlingen. Es heißt immer, alle sind dreckig. Alle sind faul. Alle sind nicht dankbar. Das stimmt so nicht. Ich arbeite seit 20 Jahren mit Flüchtlingen. Es sind nicht alle so, wie wir denken. Mich hat das schon in meiner aktiven Zeit als Politikerin immer geärgert. Da hat es geheißen: Alle Politiker sind korrupt. Nein, ich war's nicht."
Eine Anruferin aus Walserfeld machte ihrem Ärger deutlich Luft. Warum müssten Einheimische jetzt wieder zwei Stunden an der Grenze warten? "Und diese,Gfraster' marschieren da alle vorbei!" Für Flüchtlinge werde alles gemacht, für Einheimische nicht. Sie wolle seit Jahren nur, dass ihre zwei Bäume gerodet würden. "Jetzt sage ich Ihnen mal was. Seien Sie einmal zwei Minuten in Ihrem Leben ehrlich, Frau Eberle", meinte die Walserin. Doraja Eberle antwortete geduldig, aber in bestimmtem Ton. "Sie ärgern sich, das kann ich gut verstehen. Ich brauch jetzt auch länger über die Grenze und ärgere mich. Dass Ihre Bäume nicht gerodet werden, da sind aber nicht die Flüchtlinge schuld. Das müssen Sie Ihren Bürgermeister fragen."
Eigene Erlebnisse aus der Nachkriegszeit
Warum die Fluchtbewegung gerade jetzt losgehe, wo doch schon seit vier Jahren Krieg herrsche? Warum die jungen Männer nicht ihre Heimat verteidigten? Eberle: "Weil man UNHCR[1] die Gelder drastisch gekürzt hat und die Menschen in den Auffanglagern völlig unterversorgt sind. Wenn meine eigenen Kinder bedroht wären, würde ich auch anfangen zu rennen." Syrien sei noch nicht so weit, dass junge Männer zurückkehren könnten oder ihre Heimat gegen ein Regime und Rebellengruppen verteidigen. Viele würden sehr wohl noch kämpfen, meint Eberle.
Etliche Anrufer erzählen ihre Erlebnisse der Nachkriegszeit. "Auch da sind viele Menschen von hier weg nach Amerika. Die Leute sind auch bei uns geflohen und haben sich in den USA eine neue Existenz aufgebaut", argumentiert Eberle. Dass Einheimische und Flüchtlinge nicht gegeneinander ausgespielt werden, darauf würde sie ein Auge haben, betont die 61-Jährige.
Eberle ist solche Fragen gewohnt. Sie beantwortet sie täglich. Und sie bewahrt auch Contenance, wenn sie barsch angegriffen wird. "Das stresst mich nicht. Das ist meine Berufung. Ich gehe mit meinen ärgsten Kritikern auf einen Kaffee und rufe die an, die mir teils widerliche Mails schreiben. 70 bis 80 Prozent verstehen mich danach."
Manche Anrufer spekulieren selbst mit dem Gedanken, wie sie einen Flüchtling bei sich aufnehmen können, wie sie Hilfe leisten und wo sie Decken abgeben können. Manche gratulieren Doraja Eberle auch einfach nur zu ihrer Arbeit. Und manche ändern auch ein wenig ihre Meinung, die vor dem Gespräch wie einzementiert schien. Das sind Momente, die Eberle zu schätzen weiß.
Quelle
- Salzburger Nachrichten, 10. Oktober 2015
Einzelnachweise
- ↑ siehe www.unhcr.at