Sanitätsbericht Abtenau 1815/1816
In diesem Artikel ist der Text des Sanitäts-Jahres-Bericht 1815/16 Abtenau zu lesen, der vom Landgerichtsarzt von Abtenau Karl Maffei verfasst wurde.
Einleitung
Der Bericht langte vermutlich am 8. Dezember 1816 beim Salzburger Kreisamt ein.[1] Seit 1. Mai war Salzburg wieder ein Teil der österreichischen Monarchie und Maffei wollte mit diesem umfangreichen Bericht auch bei der neuen Behörde (mit altem Personal) seine Kompetenz beweisen. Der beschrieben Zeitabschnitt umfasst das damals übliche Militärjahr, das im Herbst begann und ungefähr dem Studienjahr entsprach. Für die Form des Berichts zieht er die Dienstordnung von 1805 heran, die noch in kurfürstlicher Zeit erlassen worden war.
Der Bericht ist auch deswegen bemerkenswert, weil er die Zeit des Vulkanausbruches des Tmabora beschreibt, der auch einen großen Einfluss auf das Salzburger Klima hatte. Für den Sommer 1816 stellt Maffei fest: "Dreymahl wurden diesen Sommer die Saaten mit Schnee bedeckt."[2]
Bericht
Wohllöbliches kaiserl. königl. österreich. Kreis=Amt Salzburg!
Da nach §16 der am 1 Hornung[3] 1805 erlassenen allerhöchsten Verordnung der Jahresbericht eines Physikus eine so viel möglich genaue Aufzählung der Bedingungen ist, wodurch das öffentliche Gesundheitswohl im allgemeinen bestimmt wird, so nimt man keinen Anstand, den dort aufgestellten Typen in dieser vom k. k. Landgerichts=Physicate Abtenau zu liefernden Bericht nachzufolgen. u. die etwaigen Resultate den jedesmahligen Beobachtungen zu verbinden.
Den Anfang machen daher die Wahrnehmungen der
A aussere Einflüsse
a Nach der physisch=geographischen Lage des Bezirkes.
das Landgericht Abtenau liegt an der ehemals salzburgisch=österreichischen Gränze, u. wird von den Landgerichten Thalgau, Wildenstein, Radstadt, Werfen, u. Hallein umschlossen. Die Höhe des Marktes Abtenau ist bisher durch Messungen, so viel diesseits bekannt, noch nicht bestimmt. Dem Augenschein nach, die Spitze des Tännengebürges als Einen Punkt angenommen, mag es in der nemlichen Höhe, wie St. Johann liegen. d.: 1839‘ par üb. d. M. Fläche. Der Bezirk an sich besteht durchaus aus grossen Gräben, Thälern, u. Vertiefungen, welche durch die begränzenden, u. durch die im Bezirke selbst liegenden Gebürge, u. Berge hervorgebracht werden. In, u. um Abtenau liegen folgende Gebürge. Westlich das grosse Tännen=Gebürge, südlich das Stuhlgebürg, die Schoenau, die Edalpen, südöstlich, das Haberland, der Kinnberg, Tabor, Moosberg, östlich der Einberg, der Labenberg, der hohe Zinken, der Alpenbühel, nordöstlich der Draberg, nördlich der Schwarzenberg, der Flichtelhofberg, der aussere, und innere Strubberg. da hier bloß Berg, und Thal zu finden sind, die Thäler den Namen Gräben führen, u. beynahe jedes Bauerngut durch Berg=Bäche von dem andern geschieden ist, u. der hindurch geschaffene Graben einen eugenen Namen hat, so ist es beinahe unmöglich jede Vertiefung zu nennen und man führt hier bloß 4 von der Höhe wohl zu unterscheidende bedeutendere Thalstreifen an, als vom Markte Abtenau nordwestlich die Au, nordlich die Weitenau, südostlich der Rusbach, südwestlich das Thall an der Lamer hinauf bis Annaberg. Hieher kann man noch rechnen. Die grossen nur im Sommer bewohnten Schluchten, u. Tiefen zwischen dem Einberg, Alpbühel, Zinken, Labenberg, Moosberg. Die Gegend ist wild, und grauß, voll Wäldern, und hart zu durchwandern. Nur auf den Höhen sind die Alpen, in der Tiefe Bergbäche, u. uralte Holzung. Ebenen giebt es wirklich, was man im flachen Lande so nennt, gar keine. Bloß in der Au, u. im Fischbach befinden sich 2 ebene Flecken wovon jeder vielleicht 80 bis 90 Tagbau halten mag. Flüsse besitzt diese Gegend nur einen, nemlich die Lamer, welche im Lamerthale Landgerichts Radstadt entspringt, u. Annaberg, u. einen grossen Theil von Abtenau durchströmend, bey Golling sich in die Salza einmündet. Bäche hingegen giebt es eine zahllose Menge, welche der einfallende Regen, oder der schmelzende Schnee schnell schaft, u. welche bey der Wärme nur an ihren zerstörten mit Steinen, u. Bäumen gefüllten Betten kennbar sind. Seen hat Abtenau keine. Die eine unweit dem Markte befindliche, etwa 400 Schritte lange, u. 100 breite Wasseransammlung, Egelsee genannt, möchte wohl mit Recht kein See genannt werden. Die Gränzen sind sehr weit, da sie von blossen Gebürgen gemacht werden. Den Umkreis genau nach Stunden zu bestimmen, ist man diesseits nicht im Stande, so viel aber diesseits durch eugene theilsweise Erfahrung bekannt, bedürfte es wohl einen guten Geher, oder vielmehr Steiger, der auf den Gränzen in 5 Tagen den ganzen Landgerichtsbezirk umgehen wollte. Die Weege sind ungemein schlecht, und rauh, was die einzige Thatsache schon bestätigen wird, daß beynahe überall auf den Seitenwegen, zur Schonung des Grundes, das Bette des in dieser Gegend sich bildenden Baches die Stelle der Strasse vertritt. Aus manchen Orten muß alles auf Pfaden gesäumt werden, weil nicht einmahl ein 2 rädriges Fuhrwerk fortkommen kann. Die Gebürge hiesiger Gegend sind theils Urgebürge, theils Berge zweyter Formation, unter die ersten darf man sicher das kahle Tännen, und Stuhlgebürge rechnen; ebendahin scheint der auf dem Gipfel kahle tiefer stark bewachsene Tabor zu gehören. Dem aussern Ansehen nach mehr mit Grün überzogen zwar, als die obigen, scheinen wegen ihrer Grösse sowohl als Steinart, welche gröstentheils aus Kiesel, u. Thonerde besteht, der Einberg, u. hohe Zinken einigen Anspruch auf das Vorrecht erster Formation zu machen. Grosse Lagen von Kalkstein werden wie beynahe bey jedem Gebürge auch dießorts als Oberdecke gefunden, tief eindringend aber wurden sie nicht beobachtet. Nähere Aufschlüsse über die Art des Gesteins können wegen Mangel an hiezu gehörigen Mitteln nicht gegeben werden, Metalle giebt Abtenau, im Districkte Annaberg nemlich, nur eines, d. i. Eisen. Die Grueben liegen sehr hoch. An mehrern Orten bemerkt man den Ausfluß eines zwar im geringen Grade mit Kochsalz geschwängerten Wassers, welche sogenannte natürliche Sulzen die wilden Tauben im Frühjahr, und Sommer häufig besuchen. Auch hienüber mangeln nähere Untersuchungen. In botanischer Beziehung diese Gegenden beschauend wachsen hier die gewöhnlichen Gebürgspflanzen. Doch mangelt die kräftige gentiana celtica, u. auch das geruchreiche satyrium nigrum erblickte der k.k. Physicus noch nirgends. Das wollige Edelweiß, dessen linnischen Geschlechtsnamen wegen Mangel einer Blüthe dem Berichterstatter bisher noch unbekannt, klebt an den allerhöchsten steilen Felsenwänden. Häufig finden sich die gentiana zab. valeriana silvest, u. derley an Vorgebürgen lebende Pflanzen; am häufigsten aber blüht an den nemlichen Orten, das ganze Frühjahr, u. Sommer durch die fragarica vesca, u. alpina. Die Alpen haben im Durchschnitte eine gesegnete Vegetation; viel schlechter aber ist der Boden in den Thälern. Im ganzen ist er mager, und hat nur sehr geringe Damerde[4]. Daher der Getreide Bau, nebst bey aus noch anderen zu erörternden Ursachen sehr unbedeutend, u. wenig ergiebig ist. Die besten Jahre in den besten Gründen geben 3 bis 4 sämigen Ertrag, in schlechten Jahren 2-3 sämigen, in schlechten Gründen 11/2 – 2 sämigen, oft garnicht einmal den Saamen.
b nach der klimatischen Beschaffenheit.
Die Luft ist, wie in allen grossen tiefen Gebürgs Thälern feucht, und beynahe immer mit Nebel gefüllt, ganz heitere Tage sind selten. Die Nähe hoher Gebürge, u. das viele Gewässer sind die Ursachen davon. Gegen Ost, und Westwinde ist Abtenau völlig geschützt. Nordwinde sind selten, und schwach, weil auch sie nicht frey in das Thal tretten können. Häufiger, ich möchte sagen, ja einzig, sind die warmen Südwinde, welche oft mit ausser ordentlicher Heftigkeit brausen. Sie sind es welche oft in ein paar Tagen den 5 bis 6´hohen Schnee im Frühlinge schmelzen, u. die Stelle der schwächern, und seltenrern [!] Sonne vertretten, und mit unglaublicher Schnelle die neue Vegetation hervorrufen. Im verflossenen Jahr war die Witterung kalt, u. feucht. Mitten im Sommer, wie z.B. Ende July dieses Jahres, wird oft in wenigen Stunden die ganze Gegend mit Schnee bedeckt, u. die Temperatur der Luft fällt bis zur Winters=Kälte herab. Die hohen Gebürge sind selten von Wolken frey, welche gar bald die Thäler überziehen, u. die Sonnenwärme, und deren Strahlen rauben. Sehr nachtheilig ist für ganze Thalwinkel der Mangel des unmittelbaren Sonnen=Lichtes. So z.B. entbehrt der gröste Theil der Au von Mitte November bis Mitte Jaener des Sonnenscheins. Der Rusbach wird die Vegetation betrachtet, beynahe der ärmste Theil des Bezirkes seyn. Schlechter Boden, Mangel an Luft, und Wärme, früher Schnee, u. spätes Grünen schränken dessen Bewohner meist auf eine magere Viehzucht ein, hier besonders liegt noch viel Frucht unter dem Schnee. Den 23 9b.[5] führte erst, in der Nähe des Marktes Abtenau der Besitzer eines sonnigen Gutes seinen Haber ein. Dreymahl wurden diesen Sommer die Saaten mit Schnee bedeckt. Genaue Bestimmungen des Wärmegrades der Athmosphäre lassen sich wegen Mangel an Instrumenten hinzu nicht machen. Besondere Naturerscheinungen in der Athmosphäre wurden im Verlaufe dieses Jahres nicht beobachtet.
c Nach statistischen Rücksichten.
Die Volksmenge beträgt nach Angaben der letzten Quartals=Tabellen im Landgerichts=Bezirke 4491 Seelen. Im ganzen Gerichte giebt es nur den einzigen Markt Abtenau, dessen Kultur Zustand leider schlecht ist. Es besteht ausser einer Schule gar keine öffentliche Anstalt, und gleich der genugsamen Magen der Abtenauer verlangt auch ihr Geist keine weitere Nahrung. Hier besteht kein Wetteifer in der Oeconomie, in andern Künsten etc., wie es vor Alters war ist es noch, u. Streben nach Vervollkommung irgendeines Gegenstandes läßt sich nirgends bemerken. Einzig allein die Nahrung ist es, die den langsamen Bauer dieser Gegend in Bewegung setzt. Im Durchschnitte sind sie gute, aber ungemein dumme Leute, mit einer ganz besondern Vorliebe für ihre elenden Hütten, u. Triften[6] begabt, woher es aber kömt, daß kein junger Bursche seine Heimath verläßt, und allso auch nicht mehr weiß, als sein Urgrosvater vor 150 Jahren. Auffallend ist an Ihnen eine gewisse schaafartige Gutmüthigkeit, und Gleichgültigkeit gegen aussere Eindrücke, von welcher Art sie immer seyen. Die Arbeiten ihres Feldbaues, u. ihrer Viehzucht sind sehr mühsam, manche sehr gefährlich. Ausser dem Markte Abtenau sind lauter einzelne Häuser, wahre Einödhöfe; denn Annaberg besteht bloß aus einer Kirche, Vicars=Wirths u. Mesnerhaus, was wohl auch sehr viel zum Zurückbleiben in der Kultur beytragen mag; denn es ist denn doch nur geselliges Leben, das den Menschen bildet, u. er verwildert um so schneller, je abgeschiedner er von seines gleichen lebt. Dieses Jahr hindurch wurden getraut 38 Paare; geboren 192 lebendig, u. 8 tod, Gestorben sind 154, wovon 71 Kinder, u. 83 Erwachsene. Somit vermehrte sich die Bevölkerung um 38 Individuen. Es starb sohin der 29 Mensch. Von der bedeutenden Anzahl Kinder starben meist im ersten, einige auch in den darauf folgenden Jahren 49 an Convulsionen (:Fraisen:). Diesseits glaubt man sich überzeugt, dem Grund dieses Sterbens vorzüglich 2 Ursachen zuschreiben zu müssen: a beynahe gar nie wird Hülfe gesucht, weil der Bauer glaubt für diese Krankheit im zarten Alter sey keine Hülfe, u. wirklich er es wohl auch nicht der Mühe werth hält, wegen so kleinen Kindern viel anzuwenden. b die vorzügliche Ursache aber des Entstehens dieser Krankheit scheint in den grossen Quantitaeten ausserst hart zu verdauender Nahrung zu liegen, mit welchen die älterliche Affenliebe die Kinder vollstopft. Der k. k. Physicus überzeugte sich hiervon selbst. aus dem nemlichen Grunde, sind Verdauungs=Krankheiten der Kinder hier sehr häufig, u. leiden sehr selten wegen Armuth der Eltern, u. Mangel bessern Nahrungs=Stoffes zu haben. Daß die grosse Unreinlichkeit, u. der Schmutz des hiesigen Bauern=Volkes ebenfalls das seinige beytragen, ist nicht zu leugnen. Die nemliche letztere Ursache, nebst der schlechten weiter unten zu beschreibenden Nahrung, und der tägliche Genuß des schärfsten beissenden Sauerkrautes begründet gewiß die in diesen Gegenden beynahe endemisch herschende Krätze. Die Krankheiten der Alten sind meist Auszehrung, und Wassersucht. Ausgenommen den heuer erschienenen Friesel=Ausschlag wurde weder unter Menschen noch Vieh epidemische Krankheiten bemerkt. Den Viehstand der Zahl nach zu bestimmen ist man diesseits nicht im Stande, wohl aber die Art, u. Nützung desselben. Bey dem Betriebe der Alpwirtschaft wird durchgängig Kühvieh, nebst Schaafen u. Geisvieh, u. etwas wenigen Pferden gezogen. Der Hauptertrag hiewärts ist Schmalz. Der Verkauf des überflüssigen Viehes ist weniger bedeutend, als in anderen Gebürgs=Thälern, da die hiesigen Rinder unansehnlicher, u. mägerer sind. Schlecht lebt das Vieh im Winter in den Ställen, da der Bauer, so viel er nur kann behaltet, um die Sommer Nutzung nicht zu verlieren, woraus beynahe jedem Frühling Futtermangel entsteht. Gemastet wird gar nichts, u. die Ochsenzucht ist sehr unbedeutend
B Innere Einflüsse
a physische. u. moralische Eigenthümlichkeiten
Die Körpersconstitution der Bewohner dieser Thäler ist keine von den schönsten. Die Männer sind durchaus mager, u. ausgedörrt, wie man zu sagen pflegt, die Gesichtsfarbe mit wenigem Roth begabt, der Körper von etwas grosserem Schlage, aber wenig gelenkig, daher sie in ihren Bewegungen langsam, u. träge sind. Was man Schnellkraft nennt, wird wohl kaum zu finden seyn. Im ganzen ist der Zustand ihrer Verdauungs=organe besser als irgendwo, was aus dem geschlossen wird, daß heuriges Jahr, wo doch so enorme Noth. u. Mangel, besonders im Frühlinge, u. anfangs Sommers herschte, dem k.k. Physicus kein einziger erwachsener Kranker vorkam, dessen Krankheit eine unmittelbare Folge von genossenen nicht verdauten Nahrungs=Mitteln war. Das weibliche Geschlecht ist klein, u. fetter, so lange es unverheurathet ist. Beleibte Weiber sind Seltenheiten. Ihre Seelenruhe, u. Gleichgültigkeit mag wohl auch dieß beweisen, daß seit vielen Jahren schon keine Schlägereyen in Wirthshäusern, oder auf Tanzplätzen vorfielen. Selten läßt der zu viel genossene Brandtwein die lethargische Zunge, öffters schläfert er seinen Clienten ein. Wie schon aber gesagt, darf man beym Bewohner dieser Gegend keine Geistes=Bildung suchen. Nur selten kann einer lesen, u. schreiben. Sie sind ungemein gläubig, u. es wäre manchmahl zu wünschen, sie überzeugten sich, daß der zu starke Glaube an höhere Einwirkung eugene Unthätigkeit hervorbringe. Bey diesem Seelenzustande ist es wohl nicht anders möglich, als daß eine Menge Vorurtheile ihre Köpfe füllen, aus welchen manche der Gesundheit schädliche Folgen entspringen. Vor allem verdient die seltene Unreinlichkeit ihrer Häuser, Stuben, Küchengeräth, u. Wäsche einer Bemerkung. Die Stuben werden im Winter sehr stark gewärmt, u. jede Erneuerung der Luft durch die kleinen Fenster aufs Beste verhütet, das Küchengeräth wird nur einige mahl im Jahr, bey einigen nur ein einziges mahl gesäubert, gleichen Schrittes geht die Wäsche, welche sehr selten gewechselt wird; daher Haut=Krankheiten beynahe nicht aus zu rotten sind. Das Wasser zur Säuberung des Körpers scheint ganz besonders verabscheut zu seyn, u. wenig gebraucht zu werden. Von Bädern ist wohl gar keine Rede. Die bedeutende Ausdünstung, welche bey harter Arbeit alle Kleider netzt, bleibt mit letzterer unangetastet auf der Haut liegen. Die Wirkungen davon werden freylich dan bald fühlbar. Hieher gehört ferner ein alter eingewurzelter Glaube an die Fürtreflichkeit des Blutlassens mit der Ueberzeugung: bloß das schlechte im Körper nicht mehr taugliche Blut ginge heraus, das brauchbare aber bliebe von selbst zurück. Eine fernere üble Gewohnheit ist, wie gesagt, die zu geringe Würdigung der Krankheiten ihrer Kinder, welche beynahe durchgehends ohne Behandlung eines Kunstverständigen ihrem Schicksale überlassen werden. In betreff von Pfuschern, u. Pfuschereyen geht es hier, wie überall; sie werden verheimlicht, u. nur sehr selten kömt man ihnen auf die Spur; Es ist zwar glaublich man könne sie nach, u. nach sehr mindern, der schnellste Weeg aber scheint diesseits der, diejenigen Subjecte, welche Pfuscher, u. Pfuschereyen gebrauchen, schnell dafür zu strafen, worauf ganz gewiß das unbefugte Künsteln sehr aufhören würde. Die vom ehemaligen k. Landrichter v. Bach strenge exequirte höchste Verordnung gegen Hebammen Pfuschereyen belegt meine obige Meinung. Daß nicht selten unbefugte Materialien, u. Medicamententräger diese Gegenden durchwandern, ist nicht zu leugnen, da sie um sicher zu seyn, u. Visitationen zu entfliehen, nichts weiter thun dürfen, als den Markt umgehen, oder wenn sie denn doch gerne das k.k. Landgerichts Gebäude besuchen wollen, ihre etwa verbothenen Arzneeyen bey einem Bauern einstellen, um selbe darnach wieder aufzupacken. Der Arzt ist in diesen Gegenden nichts mehr, als ein Nothhelfer, welcher auch nur bey acuten Krankheiten, nachdem die Hausmittel, oder der Pfuscher, oder Baader, u. Chirurg nichts mehr halten, zur Sicherung des einen, oder andern, den meist schon sterbenden das letzte Lebewohl zu sagen das Vergnügen hat. Es traf den k.k. Physicus schon öfter, mit dem die Sterbsakramente spendenden, u. nicht selten nach selben erst gerufen zu werden.
b Eigenthümlichkeit der Lebensweise
Die Nahrungs=Mittel der Bewohner dieser Gegenden sind unstreitig die schlechtesten im ganzen Kreiße, ihr Tisch der magerste. Das Brod der besten Bauern, deren wenige sind, besteht aus Korn, u. Gerstenmehl samt den Kleyen. Bey den meisten wird aber das feinere Korn, u. Gerstenmehl zum Kochen verwendet, u. nur das schlechtere mir den Kleyen zu Brod verbaken. Die geringern Bauern nehmen wohl bloß Haber mit Gerste. Das allerschlechteste Brod wird den Districkten Rigaus u. Radochsberg genossen, es besteht nemlich bloß aus Waitzenkleyen, welche zusammen zu halten, manche mit etwas Gerste, oder Haber Mehl mengen. Auf hohes Verlangen können hievon immer Muster eingesendet werden. Die Mehlspeisen, denn Fleisch genießt der Bauer nicht, bestehen aus obbenannten Mehlen. Nur in einigen Gegenden wird Waitzenmehl verkocht, welches aber auch Zusatz von Gerste hat. Gerste, Haber, u. Korn machen die Hauptingredienzen ihrer Mahlzeiten aus. Bohnen, u. Erbsen baut, u. genießt jeder Bauer als eine sichere Mittagspeiße. Alle Tage aber Mittag, u. Abend wird Sauerkraut genossen. Die letzte Speiße ist abgegeramte (:magere:) Milch, worinn das oben beschriebene Brod geworfen wird, um auf eine leidlicher Weise in den Magen zu kommen. Von dieser Bauernkost unterschiedet sich sehr die Nahrung der Holzknechte, das was der Bauer ausserordentlich sparrt, macht die Hauptspeise der letzteren aus: nemlich Schmalz. Der Holzknecht lebt bloß von Schmalz, Waitzenmehl, u. Kornbrod. Seine äussest Kräfte kosumirenden Arbeit fordert eine solche Speise. des Jahres verzehrt ein solcher Mann zwischen 100, u. 120 lb Schmalz. Mit dem Alter nimt die Verdauung ab, u. obiges Quantum sinkt bis auf 80 Pfund, u. auch noch weniger herab. Im spätern Alter leidet diese Gattung Menschen gerne an hydropische Unterleibsaffectionen, welche meist ihren letzten Grund in ostructionen, u. indurationen der dortigen Organe haben. das deutlichste Wohlbefinden bemerkt man an diejenigen, welche den Sommer über auf den Alpen zubringen. Die Alpkost ist ohnehin bekannt. Wie sehr die reine Luft vielleicht auch das bessere Wasser, auf die Haut wirke, beweißt die Erscheinung, daß beynahe alle mit Krätze hinauf ziehenden, selbe oben verlieren, u. rein zurückkommen. Sehr viel mag auch dazu die Reinlichkeit der Hütten, u. Geschirre, worin die Senninnen einen Stolz. u. Ehre suchen, hinzu beytragen, da zu Hause das Gegentheil herscht. Nichts wäre wohl mehr zu wünschen, u. nichts ersprieslicher, als die Einführung des Erdapfelbaues; er würde ihre beste Nahrung, u. der oft gränzenlosen Noth im Frühlinge am besten abhelfen. Aus freyem Antriebe thut der hiesige Bauer durchaus nichts; ohne Wiederrede aber, wenn es ihm befohlen wird. Wie gar nicht drückend wäre es, u. wie unendlich lohnend, wenn jeder Besitzer den 40st sage vierzigsten Theil, seiner Gründe mit dieser Frucht zu bebauen gezwungen würde. Nur 5 Jahre bedürfte es eines solchen Zwanges, u. jeder würde die folgenden gerne eine Frucht ziehen, deren Fürtreflichkeit er jetzt gar nicht kennt. Gewerbe giebt es hier weniger, die stärksten sind Weber, Schuster, u. Schmieder. Im ganzen Landgerichte sind 3 Metzger. Wirthe gibt es viele. Der größte Theil aber ist nur den Namen nach Wirth. Der Luxus ist in diesen Gegenden wohl sehr gering. Unter diesen armen Völklein ist kein Gold, u. kein Silber sichtbar, Hausgeräthe ist kein fremdes Stück zu finden. das einzige vom Werth sind die grossen theils eisernen theils kupfernen Gefäße zur Milchbearbeitung. Zu den Vergnügungsarten gehören ganz vorzüglich die, ganzen Thallgegenden eingenthümlichen, Spiele.
Literatur und Quelle
- Heitzinger-Weiser, Eva: "Medizinisch-topographische Skizze von Lungau" von Dr. Karl Maffei (1791–1850). Funktion, Analyse und Edition. Masterarbeit am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg, 2022, in UB search online publiziert
Einzelnachweise
- ↑ SLA Gen Kr Komm, Abtenau Nr 29.
- ↑ siehe dazu auch: Eva Heitzinger-Weiser, „die theuere Zeit“ und „1 Kreuzer-brod“ – Erinnerung und Gedenken an die Versorgungskrise 1816/1817, in: Berchtesgadener Heimatkalender 2024, 77-80.
- ↑ Hornung ist eine alte Bezeichnung für Februar
- ↑ Damerde ist eine auf dem Gestein liegende fruchtbare Erdschicht, Ackererde, in: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, online in: https://woerterbuchnetz.de (9.5.2022).
- ↑ November
- ↑ Trift ist der Ort, auf welchen das Vieh zur Weide getrieben wird, in: Pierer's Universal-Lexikon, online in: http://www.zeno.org (31.3.2022).