Kratzenfabrik Mänhardt

Die Kratzenfabrik Mänhardt war ein Unternehmen in der Mitterpinzgauer Marktgemeinde Saalfelden.

Kratzen

Kratzen waren Häkchen aus Draht, die für die Textilindustrie größte Bedeutung besaßen. Denn sollte Schaf-, Baum-, Zell- oder Reißwolle verarbeitet werden, musste jeweils vor der Ver­spinnung die Kratze die einzelnen Fasern parallel ordnen. Aber nicht nur in der Textilindustrie, sondern auch zur Asbest- und Tabakver­arbeitung war dieser Spezialartikel von größter Wichtigkeit.

Geschichte

Österreichs einzige Kratzenfabrik war nach dem Zweiten Weltkrieg ein Musterbetrieb in Saalfelden. Die Geschichte der Kratzenfabrik Mänhardt reicht bis 1860 zurück, als Adolf Viktor Mänhardts Großvater Adolf im heute polnischen Bielitz, damals Schlesien, die Produktion aufnahm. Das Unternehmen beschäftigte später 600 Personen. Es war die größte Kratzenfabrik Österreich-Ungarns bzw. nach dem Ersten Weltkrieg Polens. 1945 wurde Adolf Viktor Mänhardt enteignet und flüchtete nach Österreich, wo er 1945 in Saalfelden eine neue Heimat fand. Er konnte aber vorher Kapital ins Ausland retten und besaß ein bedeutendes Aktienpaket von BMW.

Er begann praktisch aus dem Nichts wieder etwas zu schaffen. Im Verein mit einigen Bielitzer Spezialarbei­tern ging er 1946 daran, Maschinen zur Kratzenherstellung zu bauen. Der Betrieb war vorerst nur notdürftig in der Lederfabrik Kitzmantel unter­ gebracht. Doch wo Leistung, da auch Erfolg. Der Absatz war gut und man begann mit dem Bau einer großen Fabrikshalle, mechanisierte den Be­trieb weitestgehend und stattete das neue Gebäude modernst aus. Am 18. April 1951 wurde die neue Produktionshalle, die "Mänhardthalle", unter Anwesenheit von Landeshauptmann Josef Klaus eingeweiht. Mänhardt notierte in seinem in Kurrentschrift geschriebenen Tagebuch: "Presse war nur die SN eingeladen und anwesend, die dann auch einen Artikel brachte."

Im gleichen Jahr trat der damals 14-jährige Ekkehard Reichl als Bürolehrling in die Firma ein und blieb bis zu seinem letzten Tag.

Auch für die Arbeiter wurden vor­bildliche Anlagen geschaffen. Im Frühjahr 1952 wurden drei Doppelwohnhäuser an Fami­lien des Betriebes vergeben. Und mit dem Zins kauften sich die Mieter das Haus, das später in ihren Besitz überging.

Wenn man bedenkt, dass 1952 in Österreich rund 160 Textilwerke arbeiteten, die ihren Kratzenbedarf durch Import decken mussten, so wird die Bedeutung des Saalfeldner Betriebes klar. Es wurde damit nicht nur teure Einfuhr erübrigt, sondern es wurden bereits aussichtsreiche Exportgeschäfte an­gebahnt. Österreich hatte vor 1945 keine derartige Erzeugerstätte.

Die Geschichte der Fabrik in Saalfelden endete nach 163 Jahren 2023 mit dem Abriss der "Mänhardthalle". Die Halle wurde später unter anderem zur Produktion von Lüftungsrohren, als Lager, Atelier und Galerie genützt. Die letzten Besitzer waren Ingeborg Mänhardts Enkel Martin und Johannes Schurich. Martin Schurich sagt, um die Halle weiter als Betriebsstandort zu nützen, müsste wegen der Auflagen viel Geld investiert werden. So habe man sich nach reiflicher Überlegung entschieden, den Großteil des Geländes an die Wohnbau-Genossenschaft Bergland zu verkaufen, die hier das Projekt "Am Kukuruz" umsetzen wird. Der Name rührt daher, dass neben der Halle früher ein großes Maisfeld war, das auch längst Wohnbauten weichen musste. Ab Montag, den 20. Februar 2023, wurde die Halle abgerissen und die Geschichte der Fabrik endgültig abgeschlossen.

Ingeborg Mänhardt

Für Tratsch sorgte im Saalfelden der 1960er-Jahre die Verbindung von Mänhardt mit Ingeborg Faude. Sie haben 1966 geheiratet. Frau Faude war die Witwe des Rennfahrers und Textilfabrikanten Wilhelm Faude, der am 17. November 1960 den Verletzungen erlag, die er am 9. Oktober bei einem privaten Autounfall erlitten hatte. Faude gewann 1953 das Eisrennen auf dem Zeller See. Die Textilfabrik Faude in der Farmachstraße nahe der Mänhardthalle produzierte Reißwolle, Watten und Steppdecken. Nach Faudes Tod führte seine Witwe den Betrieb erfolgreich weiter.

Ingeborg Mänhardt wurde 1973 zum zweiten Mal Witwe. Herr Mänhardt rutschte am 20. Februar auf dem wenige Meter langen Weg von der Halle zu seinem Haus auf einer Eisplatte aus und brach sich den Oberschenkelhals. Wenige Tage später starb er im Zeller Spital an einer Embolie. Ingeborg Mänhardt führte in der Folge bis 1975 beide Firmen. Dann verkaufte sie die Maschinen und löste die Firmen auf. Die Leute wurden gekündigt. Reichl baute für einen Investor mit Maschinen aus Saalfelden die Kratzenfabrik Honegger in Krems auf und leitete sie bis 2005.

2023: Ekkehard Reichl erinnert sich

Der heute 86-Jährige bezeichnet sich als letzten Überlebenden der Kratzenfabrik, die bis 1975 bestanden hatte. In der Industriehalle aus Voest-Stahl haben sogar ein paar Relikte von damals wie die Stechuhr überlebt. "Da ist 24 Jahre lang mein Schreibtisch gestanden", sagt Reichl und zeigt in eine Ecke des Büros, das durch eine Glaswand vom Rest der Halle, wo die Maschinen standen, getrennt ist. Der Besitzer der Fabrik Adolf Viktor Mänhardt sei zwei Schreibtische weiter gesessen, erzählt Reichl. Mänhardt sei sehr sozial zu seinen Leuten gewesen. Aber er sei auch sehr streng und ein Patriarch der alten Schule gewesen. "Keine zehn Worte habe ich mit ihm in den 24 Jahren gesprochen", sagt Reichl. "Die Kommunikation lief über die zwei Prokuristen."

"Er hatte auch immer die neuesten Autos, unter anderem einen BMW V8 mit Bertone-Karosserie, von dem nur wenige gebaut worden sind." erzählt Reichl. Reichl sagt, die Fabrik sei eher ein Hobby für Mänhardt gewesen, der immer wieder Kapital zuschoss. Allein für die Küche habe er drei Leute beschäftigt, die täglich für die 34-köpfige Belegschaft kochten. Dann gab es einen Chauffeur und Mechaniker für die BMW. "Und einen Gärtner, der auch für die Schweinemästung zuständig war. Das alles hat die Firma nicht getragen." Hinter der Halle wurden jedes Jahr zwei Schweine gehalten, die man vor Weihnachten schlachtete. "Die Mitarbeiter wurden zum Stichfleisch eingeladen." Für die vielen Feiern gab es auch eine Firmenband. Mänhardt schrieb in sein Tagebuch: "Ende 1953 wurde eine kleine Musikkapelle mit vier Mann zusammengestellt. Die Firma kaufte ein Horn, Schlagwerk und Notenpulte und Apparaturen zur Übertragung." Mit den Apparaturen sind wohl Lautsprecher und Mikrofone gemeint. Es wurden Weihnachts- und Faschingsfeiern, Ausflüge und Jubiläumsfeiern organisiert.

Quellen