Woher die Bettler kommen: Bei den Roma von Ardud
Woher die Bettler kommen: Bei den Roma von Ardud - als das Bettler-Thema Anfang 2014 zum Wahlkampfthema in der Stadt Salzburg wurde, begab sich Redakteur Christian Resch von den Salzburger Nachrichten auf Spurensuche nach Rumänien.
Sie stammen aus erbärmlichen Verhältnissen
Bei einer Reise durch rumänische Roma-Siedlungen wird klar: Wer in Salzburgs Altstadt auf der Straße sitzt, kommt meist aus erbärmlichen Verhältnissen.
Der Bursche könnte, in einem anderen Leben, in Berlin, Wien oder Salzburg zur Schule gehen. Und der Coolste in seiner Klasse sein. Der junge Mann stapft am frühen Nachmittag aus dem Roma-Viertel im nordrumänischen Ardud, mit enger Jean, Lederjacke, Sneakers. Erst auf den zweiten Blick wird klar: Der Passant kommt aus einer völlig anderen Welt. Man sieht es, ein wenig, an seinem leeren Gesichtsausdruck. Und, viel deutlicher, an der zentimeterdicken Schlammschicht an seinen modischen Schuhen.
Dort hinten, abseits der Hauptstraße, hört der Asphalt auf. Wenige Meter weiter gibt es keine Gartenzäune mehr. Es riecht verbrannt, denn wer hier heizt, heizt mit Holz. Hier, gerade fünf Autostunden von der österreichischen Grenze entfernt, befindet sich ein Stück Dritte Welt. Eine jener Gegenden, aus der die Menschen kommen, welche in Salzburg gerade für eine hitzige Bettler-Debatte sorgen.
Besucher werden kritisch beäugt
Hier, wo die ukrainische Grenze nicht mehr weit ist, werden Besucher kritisch beäugt. Ein Mann umkreist die Ausländergruppe im Zeitlupentempo mit seinem Fahrrad. Ein Pferdegespann klappert vorbei. Ringsum Häuser, eher Behausungen, zusammengenagelt aus dem, was gerade da war. Plumpsklos. Matsch überall.
Jetzt, im Winter, gibt es hier kaum Arbeit. Im Sommer arbeiten viele Roma bei den Bauern der Umgebung, vielleicht 20 Euro pro Tag bekommen sie dafür. Das ist fast gar nichts - das Leben in Rumänien ist nicht viel billiger als in Österreich. Und doch ist es besser, als das, was sonst zum Leben bleibt: 90 Euro staatliche Hilfe für eine Großfamilie. Unmöglich, damit einen Monat zu überstehen. Übrigens: Manch ein Bettler in der Salzburger Getreidegasse "verdient" diese Summe in zwei, drei Tagen.
Ardud, Roma-Viertel: Durch einen Türrahmen in einer unverputzen Wand geht es in das Dunkel eines Vorraums. Zwei Hunde spielen hier, auf dem Betonboden steht das Wasser. Noch eine Öffnung, und wir stehen in Giselas Zimmer.
20 Quadratmeter, zwölf Menschen
Giselas Zimmer, das sind knapp 20 Quadratmeter, drei Betten, ein kaputtes Keyboard und ein Fernseher mit Bildrauschen. Zwölf Menschen schlafen hier nachts, wo sie sich hinschlichten, bleibt ein Rätsel. Mit vor der Brust verschränkten Armen erzählt Gisela aus ihrem Leben. Wie sie jeden Tag Bohnen kocht, am Wochenende Hühnerreste. Immer wieder bricht ihre Stimme. Was sie sich wünscht? "Meine Kinder erziehen und verheiraten. Nur Gott weiß, was dann passiert."
2 300 Roma leben hier in Ardud, das ist knapp die Hälfte der Bevölkerung. Der rumänische Staat, gebeutelt von der Wirtschaftskrise, ist kaum eine Hilfe. Gelder werden immer wieder zusammengestrichen, offizielle Gründe gibt es keine. Die einzige größere Fabrik der Gegend ist nur noch eine ferne Erinnerung. Wer durch Ardud spaziert, oder eher im Morast von Stein zu Stein hüpft, trifft vor allem Kinder. Und Alte.
Viele der Arbeitsfähigen sind ins Ausland gegangen, wie auch sonst überall in Rumänien. Binnen zehn Jahren hat jeder fünfte Bewohner die Provinz Satu Mare verlassen. Landesweit gibt es bereits mehr Pensionisten als Werktätige, hier in Ardud scheint das nicht anders.
Sind die Roma von hier auch zum Betteln in den Westen gegangen? Gisela rollt mit den Augen. "Nicht mehr so oft", sagt sie dann leise.
In dieser Situation ist es nicht zuletzt die Caritas, von der die Mittellosen Hilfe erhalten. "Integretto" heißt etwa ein Kinderzentrum samt Nachmittagsbetreuung. Nicht nur Roma-Kindern wird hier die Wäsche gewaschen, es wird gelernt, geduscht und gespielt. "Die Kleinen lernen, dass man sich die Zähne putzt, die Hände wäscht. Viele kennen das von zu Hause nicht", erzählt Leiterin Tünde Löchli.
Fremde im eigenen Land
Aus ihren Worten lässt sich herauslesen, was die Dinge noch komplizierter macht: Wie die Roma leben, was sie tun, wie sie die Welt sehen, all das macht sie in Rumänien, in Ungarn, auf dem Westbalkan zu Fremden im eigenen Land. Rumänische Caritas-Mitarbeiter räumen ein, man erreiche in der Regel keine Bevölkerungsgruppe so schwer mit nachhaltiger Sozialarbeit.
Ihnen wirft man vor, ihren Lebensunterhalt meist auf unehrliche Weise zu verdienen. Da ist das Sitzen im Salzburger Ritzerbogen und an der Linzer Gasse noch das Harmloseste. An den größeren Straßen Westrumäniens tauchen immer wieder kunterbunte Kitschpaläste auf - ein Mitarbeiter der Erzdiözese Temeswar nennt sie offen "Zigeuner-Taj-Mahals". Auch er ist der Meinung, dass Roma-Clanbosse ihre "Untertanen" ausbeuten, sie zum Betteln zwingen, zur Kleinkriminalität, zur Prostitution.
Die Version, wonach das Geld für die Roma-Paläste aus dem Altmetallhandel stamme, scheint kaum ein Nichtroma in Rumänien ernst zu nehmen. Entsprechend schwer fällt es den Angehörigen der Volksgruppe, Arbeit und Wohnung zu finden. Der Teufelskreis der Armut ist intakt. Ein Teufelskreis, der die Roma wohl immer wieder auch auf die Straßen Salzburgs und anderer österreichischer Städte führt.
Wobei: Im rumänischen Ardud gibt es auch Geschichten, die nicht deprimierend sind. Etwa die von Melinda Kardos: Sie wuchs im Schlamm der Roma-Siedlung auf, doch nun ist sie Akademikerin. In ihrem alten Viertel betreibt sie Sozialforschung. Und sie ist der Stolz der örtlichen Sozialarbeiter, der lebende Beweis, dass all die Mühen nicht umsonst sind, zumindest nicht immer.
Quelle
- "Salzburger Nachrichten", 15. Februar 2014, Beitrag von Christian Resch