Zugunglück 1896 bei St. Johann im Pongau

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Ein Zugunglück bei St. Johann im Pongau geschah am 11. März 1896 auf der Giselabahnstrecke.

Einleitung

Einen Tag nach dem Zugunglück erklärte das "Salzburger Volksblatt" den ursächlich Grund für das Unglück:[1]

Der Eisenbahntunnel Unterstein in Taxenbach 1928, westliche Portale.

In Folge einer Tunnelringverschiebung am Unterstein bei Taxenbach, welcher mittlerweile auch ein Einbruch des Tunnels selbst gefolgt ist, wurde der Verkehr zwischen Lend und Taxenbach eingestellt und kann seit gestern Früh nicht einmal mehr durch Um­steigen bewerkstelligt werden, da bei dem dortigen Rutschterrain und dem jetzt herrschenden Wetter der Abgang größerer Erd- und Steinmassen stündlich zu befürchten steht. Der Zugsverkehr ist daher seit gestern auf der Giselabahn-Route ab Salzburg nur bis Lend möglich. Dahin sollte auch der gestern Vormittags 9 Uhr 38 Minuten von hier abgegangene fahrplanmäßige Personenzug Nr. 11 verkehren.

Über das Unglück

Über das Unglück berichtete dann am 26. März die "Verkehrszeitung" ausführlich:[2]

Aufnahme um 1875: Links beim Haus die Einmündung des Trattenbachs. Später wird die Giselabahn etwas höher verlegt und durch Tunnels geführt.

Der am 11. d. M. von Bischofshofen um 11 Uhr 53 Minuten mittags abgelassene Personenzug Nr. 11 carambolirte wie bekannt bei dem erwähnten Wächterhause Nr. 55 kurz vor St. Johann im Pongau, mit dem nach Salzburg verkehrenden Schnellzüge Nr. 105, wodurch ausser Beschädigugen von Fahrbetriebsmitteln auch zahl­reiche Verletzungen und ein Todesfall vorgekommen sind.

Zug Nr. 11, welcher bei ruhigem Wetter nach vor­ausgeschicktem Glockensignal regelmässig um 11 Uhr 53 Minuten mittags von Bischofshofen abgeht, war in Folge der Verkehrsstörung beim Unterstein-Tunnel zwischen Lend-Gastein und Taxenbach mit verkehrter Maschine (Tender voraus) abgelassen worden und wurde vom Wächter Nr. 52 in Folge Abrutschens einer Eisscholle, welche das Geleise verlegte, angehalten. Unter Zuhilfenahme der beim Zuge befindlichen Regiepartien wurde die Freimachung des Geleises innerhalb zehn Minuten durchgeführt und nun die Fahrt fortgesetzt.

Nachdem der zugführende Oberconducteur Friedrich Messbauer, über Befragen des Wächters die Auskunft er­hielt, dass die Eisscholle kurz bevor der Zug in Sicht kam, abgerutscht, und die Telegrafenleitung zerstört war, jedoch das Fahrsignal für den Zug, sowie das Mittags­zeichen noch ordnungsmässig am Wächterhaus Apparate geschlagen hatte, so konnte für den Oberconducteur Friedrich Messbauer kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass seiner Fahrt kein Hinderniss mehr im Wege stehe, und dass die Station St. Johann im Pongau, in welcher die regelmässige Kreuzung mit Zug Nr 104 festgesetzt ist, auf Grund der erhaltenen Information, sein von Bischofshofen abgegebenes Fahrsignal ebenfalls vor der Abrutschung erhalten haben musste. Wie jedoch nachträglich constatirt wurde, musste die Telegrafenleitung schon vor dieser Rutschung, von jener Stelle gegen St. Johann i. Pongau unterbrochen gewesen sei, weil die Station St. Johann i. Pongau für den Zug Nr. 11 schon kein Signal bekommen hatte und daher bei Expedition des Zuges Nr. 104 die unmögliche telegrafische Correspondenz in Rechnung gezogen und dem Zuge 104 den Vorschriften entsprechend zur frühesten Abfahrtszeit abgelassen hatte, auch ist zur Genüge constatirt, dass das betheiligte Personale in keiner Weise ein Verschulden treffen kann, und der bedauerliche Unglücksfall nur durch verhängnissvolle im Voraus nicht wahrnehmbare Zufälle entstanden ist.

Die beiden Züge fuhren gerade in einer starken Krümmung bei dem aufgelösten Wächterhause Nr. 55 zu­sammen, wo keiner der beiden Locomotivführer in der Lage gewesen ist, den entgegenkommenden Zug auf eine grössere Distanz wahrnehmen zu können; als die gefähr­liche Situation sichtbar wurde, war es schon zu spät, um das Unglück verhüten zu können. Der Gepäckswagen des Zuges Nr. 11 wurde total zertrümmert, der Puffer des Gepäcksbeiwagen kam dem Oberconducteur Friedrich Mess­bauer zwischen die Füsse, er wurde mit dem Kopfe durch das Dach des Gepäckswagens gestossen und starb sofort.

Der Leichnam musste mit Gewalt aus seiner Lage befreit werden. Der von Bischofshofen zur Unglücksstätte entsendete Hilfszug brachte die Aerzte Dr. Heinrich aus Bischofshofen und Dr. Rechberger aus Werfen, nebst dem nöthigen Verbandzeug. Die Aerzte hatten vollauf zu thun, um den Verletzten die nöthigen Verbände anzulegen, ein Passagier, Herr M. Kunst, Kaufmann aus Ulm, hat sich dabei in wahrhaft samaritanischer Weise an der Rettungsaction betheiligt und die beschwerliche Arbeit der vorhandenen Aerzte unterstützt. Bemerkenswerth ist, dass Gepäckconducteur Köberl, welcher neben dem verunglückten Oberconducteur Messbauer arbeitete, mit vollkommen heiler Haut davon kam. Schwere Verletzungen erlitten noch vom Zuge Nr. 11: Locomotivfürer Johann Feinder, Heizer Josef Blenk und Conducteur J. Buxbaum. Vom Zuge 104: Oberconducteur Stefan Bäumel. Leichtere Verletzungen hatten: Oberconducteur Pauser, und die Conducteure Josef Innerlochinger, Andreas Schweiger, Franz Edlmann, Katzlberger und Janisch. Von der Post­ambulanz erlitten Herr Carl Hain und Josef Swoboda, k. k. Postofficiale, Herr Anton Nawratil, k. k. Postassistent sowie die Herren k. k. Postconducteure Josef Gebauer und Johann Eywan theils leichtere, theils schwerere Verletzungen. Von den Passagieren wurde ein Herr Albert Schilling aus München und Herr Michael Duldner, Kaufmann aus Wien verletzt.

Freitag den 13. d. M. fand in Salzburg, um ½5 Uhr nachmittags, das Leichenbegängniss des verunglückten Oberconducteurs Friedrich Messbauer von der Leichenhalle des Communal-Friedhofes aus statt. Die Salzburger Localbahn-Gesellschaft hatte einen Separat­zug, bestehend aus 6 Waggons für die Theilnehmer zur Verfügung gestellt, welcher jedoch für die auswärtigen Theilnehmer reservirt bleiben musste, da dieselben in so grosser Zahl erschienen sind, dass der Zug dieselben nicht zu fassen vermochte. Es dürfte nicht übertrieben sein, wenn man die Zahl der Theilnehmer am Friedhofe auf mehr als 1000 Personen veranschlagt. Grössere Deputationen sandten die Domicilstationen Bischofshofen, Steinach-Irdning[3][4], Innsbruck, Linz, Wels und Wien, während das Gros der Theilnehmer die Station Salzburg stellte; jede dieser genannten Stationen widmete eine schöne Kranz­spende, und zwar sowohl das Zugs-, als auch das Maschinen-Personal. An der Leichenfeier betheiligten sich sämmtliche dienstfreien Beamten von Salzburg und Umgebung, das Gros der Bürger von Salzburg, der Veteranenverein mit Fahne und Musik, sowie eine Abtheilung der königlich­ bayerischen Finanzwache.

Von einem der beim Unfalle Verletzten wird unsgeschrieben:

"Ich habe bei dem Zusammenstoss eine starke Kopfcontusion und an der rechten Seite in der 'Kugel' und am Oberschenkel eine Verletzung erlitten. Als ich den Signalpfiff hörte, riss ich schnell die Thüre auf und wollte schauen, was es gebe; in dem Momente bin ich aber auch schon weggeflogen, ich weiss nicht ob an eine Telegrafen­säule oder an einen Kilometerstein. Als ich zu mir kam, bin ich im Graben gelegen, es war mein Glück, dass dort viel Schnee gelegen ist sonst wäre es mir schlecht ergangen.

Ich befand mich bei der Partie Bäuml (Zug Nr. 104). Wir sind in St. Johann regelmässig eingetroffen. Zug 11 war noch nicht hier; unser Zug ist Schnellzug und hat also den Vorrang, wir warteten aber 10 bis 12 Minuten, dann kam endlich der Beamte zum zweiten Male und sagte: 'Telegrafische Verständigung und Signal ist keines, es muss auf der Strecke der Telegraf unterbrochen sein, also abfahren, aber langsam und vorsichtig fahren.' Das hat der Beamte auch in den Stundenpass eingetragen.

Wir sind dann wirklich langsam abgefahren, es hätte noch mehr gekracht, wenn wir gefahren wären wie ge­wöhnlich. Wir konnten in der Krümmung von Zug 11 nichts sehen; als wir über das Distanz-Signal bei dem Bogen hinauskamen war Zug 11 da, ein Pfiff, ein Krach und wir sind gestanden. Die Partie Messbauer war mit Zug 11 in Bischofshofen regelrecht abgefahren, von der Station wurde telegrafirt und das Signal gegeben, aber das ist alles in die Erde gegangen, denn ausserhalb der Haltestelle Mitterberg, wo auch ein Wächter postirt ist, war von dem Felsen ein grosser Eisblock heruntergegangen, der hat die Telegrafensäule in den Koth hineingeworfen und so hat bis dorthin alles functionirt, denn die Erde ist ein sehr guter Telegrafenleiter und der Eisblock ist bevor die Signale gegeben wurden, heruntergegangen. Der Wächter und seine Frau waren nicht im Stande, denselben bevor der Zug 11 kam, wegzuräumen. Der Wächter musste den Zug anhalten und das Personal verständigen, dass er den Eisblock allein nicht wegbringe. Beim An­halten ist also der Zug 2 Minuten gestanden, dann ist er bis zur Abrutschung vorgefahren, dort hat Alles zusammen­ geholfen (es waren auch zwei Regiepartien bei Zug 11, eine Postzugs- und eine Lastzugspartie) und so kam der Zug 11 in 7 bis 8 Minuten wieder weiter, man wusste aber nichts davon, dass die telegrafische Verständigung nicht weiter ging, und dass daher der Gegenzug in St. Johann nicht aufgehalten worden war. Dann war bei Zug 11 eine verkehrte Maschine vorgekoppelt, weil in Lend-Gastein keine Drehscheibe ist und die Maschine daher nicht umgedreht werden konnte. So hatte dann Zug 11 auch kein Vacuum und als sich die Züge gesehen haben, war es schon zu spät, der Zusammenstoss erfolgte.

Das Personal ist beiderseitig ausser Schuld. Bei Zug 104 war der Heizer Huber der erste, der den Zug 11 gesehen hatte und ausrief: 'Der Elfer ist da.' Ein Pfiff und Vacuum geben war eins, aber es war zu spät. Bei Zug 11 war der Gepäcksconducteur Buxbaum der erste, der den Vierer gesehen hatte. Er ist im Gepäcksraum gestanden, sah zufällig bei der Thüre hinaus und in den Manipulationsraum hinein. 'Aus ist’s, der Vierer kommt.' Oberconducteur Messbauer sprang zur Bremse und wollte sie anziehen, da hatte ihn schon der Beiwagen erfasst und auf das Dach hinaufgedrückt, wo ihm die Wirbelsäule abgedrückt wurde und sofort der Tod eingetreten ist. Ausser den Verunglückten ist auch Gepäcksconducteur Pauser am Auge und Kopfe ziemlich verlelzt. Pauser hatte beim Freimachen der Strecke geholfen und ist dann, wie sich der Zug wieder in Bewegung setzte, nicht zu seiner Regiepartie zurückgegangen, sondern gleich in den Gepäckswagen eingestiegen.

Die Direction und die Bahnerhaltungssection sind insoferne mitschuldig an dem ganzen Unfälle, als die Bahn­erhaltung Bischofshofen ganz gut weiss, dass sie alle Jahre den Felsen von Eis räumen müsse, heuer hat sie sich nicht darum gekümmert, bis das Malheur geschehen ist. Zweitens hat die Direction schon vor zwei Jahren das Wächterhaus Nr. 55 aufgelöst, welches gerade auf dem gefährlichen Punkte steht, wo sich die Züge nicht sehen können. Wenn dieses Wächterhaus noch besetzt gewesen wäre, hätte der Wächter die Züge fahren sehen müssen, denn das Geleise geht dort so > □ und das bezeichnete Quadrat ist das aufgelöste Wächterhaus.

Quellen

  1. ANNO, "Salzburger Volksblatt", Ausgabe vom 12. März 1896, Seite 3
  2. ANNO, "Verkehrszeitung", Ausgabe vom 26. März 1896, Seiten 3 f.
  3. siehe Ennstalwiki → Bahnhof Stainach-Irdning
  4. Verlinkung(en) mit "enns:" beginnend führ(t)en zu Artikeln, meist mit mehreren Bildern, im EnnstalWiki, einem Schwesterwiki des SALZBURGWIKIs