Demonstration 1905 für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts
Am 28. November 1905 fand eine Demonstration für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts auf dem Mozartplatz in der Stadt Salzburg statt.
Einleitung
Unser heute selbstverständliches demokratisches Recht der freien Wahl war nicht immer selbstverständlich. Unter den Salzburger Fürsterzbischöfen gab es zeitweise begrenzte freien Wahlen, z. B. des Bürgermeisters der Stadt Salzburg. Zur Zeit der Habsburgermonarchie waren freien Wahlen ebenfalls nur eingeschränkt gestattet. Umso bemerkenswerter diese Demonstration für das freie Wahlrecht. Die "Salzburger Chronik" berichtet in ihrer Ausgabe vom 28. November 1905 über den Verlauf der Veranstaltung:[1] Der genannte Landespräsident war Clemens Graf Saint-Julien-Wallsee
Wahlrechtsdemonstration.
Die vielgefürchtete Demonstration der Sozialdemokraten zugunsten des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechtes hat heute in aller Ruhe und Ordnung stattgefunden. Dem Ersuchen, während des Demonstrattonsumzuges die Geschäfte geschlossen zu halten, hatte ein Teil der Geschäftsleute Rechnung getragen, so daß während zwei Stunden das Bild der Stadt fast das eines Sonntags war. Die verschiedenen Branchen der Arbeiter hatten sich in ihren Lokalen gesammelt und marschierten in geschlossenen Reihen zum Kursaale, dem Sammelpunkt der Demonstranten. In diesen Zügen bemerkte man zahlreiche rote Fahnen. Um 9 Uhr vormittags begann im Kurhause die Versammlung, in welcher die Genossen Preußler und Rattey die Bedeutung des Tages erörterten und die Arbeiterschaft aufforderten, die Massenkundgebung durch keinen Zwischenfall zu stören, den Tag ernst und würdig zu begehen. Nach der Versammlung bewegte sich ein riesiger Zug der Versammlungsteilnehmer, denen sich auch die in einer Stärke von etwa 1 500 Mann erschienenen Halleiner Arbeiter anschlossen, schweigend über die Westbahnstraße, Dreifaltigkeitsgasse, Makartplatz, Schwarzstraße, Staatsbrücke, Rudolfskai vor das Gebäude der Landesregierung. Es dürften 7–8 000 Personen am Demonstrationszuge teilgenommen haben. Im Zuge, dem eine rote Fahne vorangetragen wurde, hinter welcher die Deputation, die dem Landespräsidenten die in der Versammlung einhellig angenommene Resolution überreichte, schritt, wurden 13 rote Fahnen, sowie verschiedene Tafeln, auf denen das allgemeine und gleiche Wahlrecht gefordert wurde, getragen. Die Halleiner Genossen hatten auch einen schwarzen Sarg mit der Inschrift "Gautsch" mitgebracht, aus welchem Sarge eine Grablaterne brannte. Unter den Demonstranten waren auch etwa 3–400 Frauen zu sehen.
Vor dem Regierungsgebäude angelangt, begab sich die aus den Genossen Preußler, Rattey, Proksch und einer Genossin bestehende Deputation zum Landespräsidenten, um im Namen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft eine Resolution zu überreichen, in der das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht gefordert wird. Auf die Ansprache des Genossen Preußler erwiderte Se. Exzellenz in nachstehender Weise:
"Ich danke Ihnen zunächst für den Besuch, den Sie mir machen und dafür, daß Sie sich mit Ihren Anliegen und Wünschen vertrauensvoll an die Behörde wenden; weiters muß ich meinen nachfolgen den Worten die Bemerkung vorausschicken, daß ich nur meine persönliche Anschauung über Ihre Bestrebungen um Erreichung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechtes zum Ausdrucke bringen kann. Diese meine Anschauung kann nur dahin gehen, daß die Notwendigkeit einer Wahlreform eine allgemein anerkannte ist, sie hat in den diesjährigen Sessionen nahezu alle Landtage beschäftigt und nun klopft diese Frage auch an die Türen des Parlamentes an, wo ihr am heutigen Tage auch aufgetan werden wird, indem, wie Sie wissen, den versammelten Abgeordneten aus berufenem Munde die allgemeinen Grundzüge einer neuen Wahlordnung werden eröffnet werden."
"Wohl darf man sich der Einsicht nicht verschließen, daß das Zustandekommen derselben aus gewisse Schwierigkeiten stoßen wird, welche sich aus der Verschiedenheit der kulturellen Verhältnisse und der in Rücksicht zu ziehenden nationalen Fragen ergeben; doch steht zu hoffen, daß sich diese naturgemäß auftauchenden Schwierigkeiten durch eine gerechte Wahlreform, welche auch den Schutz der Minoritäten gewährleistet, besiegen lassen. Freilich wird ein solches Gesetz nicht im ersten Anlauf geschaffen werden können und es wird daher mit ruhiger Besonnenheit abgewartet werden müssen, bis ein den Interessen aller Parteien entsprechender Entwurf zum Gesetze erhoben wird, was möglicherweise erst nach mehrfachen vergeblichen Versuchen, eine Einigung zu erzielen, und auf dem Wege von Kompromissen, wozu auch Ihre Partei hilfreiche Hand bieten muß, gelingen wird."
"Auf eines möchte ich aber zum Schlusse noch hinweisen, das ist auf den Einfluß, welchen die Wahlreform, wie man hoffen darf, auf die Tätigkeit des neuen Parlamentes ausüben wird."
"Gestatten Sie mir zur Bekräftigung dieses Ausspruches ein Beispiel aus dem Gebiete der Landwirschast zu wählen. Gleichwie der Landwirt zur Kräftigung der in ihrer Fruchtbarkeit und ihrem Ertrage zurückgebliebenen oberen Ackerscholle durch Tieferpflügen sich hilft und dadurch jungfräuliche, unverbrauchte Erde an die Oberfläche bringt, welche mit der oberen Schichte vermischt, neuerlich reiche Ernten hervorbringt, ebenso steht zu erwarten, daß die bisher brachgelegene, zur Untätigkeit verurteilt gewesene Kraft der nunmehr zu gesetzgeberischem Wirken berufenen Volksschichten all ihr Können einsetzen wird, auf die parlamentarische Tätigkeit befruchtend und belebend einzuwirken, vor ausgesetzt, daß ihre Partei mit Besonnenheit und weiser Mäßigung dieser schweren Aufgabe sich widme. Die mir soeben übergebene Resolution werde ich noch heute an den Herrn Ministerpräsidenten übersenden."
Nach dieser Antwort des Herrn Landespräsidenten begab sich die Deputation wieder zu der auf dem Mozartplatz angesammelten Menge. Genosse Preußler verkündete vom Mozartdenkmal aus den erschienenen Massen die Antwort des Landespräsidenten und wiederholte seine Aufforderung zur Ruhe und Ordnung. Mit einem Hoch auf das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht, in das die Menge begeistert einstimmte, schloß er seine kurze Ansprache. Nach Absingen der Marseillaise zerstreuten sich die Demonstranten in voller Ruhe.