Über Rügegerichte mit besonderer Beziehung auf Salzburg
Über Rügegerichte mit besonderer Beziehung auf Salzburg, ein Beitrag vom Volkskundler Karl Adrian aus dem Jahr 1927.
Rügegerichte
Die Rügegerichte, die sich in unserem Volke noch hie und da erhalten haben, sind angeblich Ueberreste der von Karl d. Gr. eingeführten Rüge- oder Sühngerichte, die die Wandlungen des Rechtslebens überdauert haben. Sie behandeln Vergehen, die das ordentliche Gericht nicht ahndet, wie z. B. Geiz, wucherisches Gehaben, Unmoral und häusliche Zwietracht. Als bekanntesten ist das im bayerischen Oberland zwischen Mangfall, Inn und Isar gebräuchlich gewesene Haberfeldtreiben, das insoferne auch auf Salzburg Bezug hat, als es im Namen Kaiser Karls geschieht und am Schlusse des Treibens der "Habetermeister" die Teilnehmer auffordert, wieder in den Untersberg zu ziehen.[1] Hauptsächlich richtete er sich anfänglich nur gegen Feldfrevler, dann aber auch allgemein gegen jene, wo das Recht versagte. Die Organisation, die in zwölf Haberbezirken bestand, an deren Spitze ein Haberermeister stand, war so geheim, daß einer vom andern nichts wußte und auch niemals ein Verrat vorkam. Ursprünglich durften sich nur hausgesessene Leute beteiligen, die sich von jeder Sachbeschädigung fernehielten; kam eine solche vor, so wurde der Schaden alsbald von unsichtbarer Hand wieder gutgemacht. In der Regel machten das Treiben Leute aus einer anderen Gemeinde.
Ungefähr 100–200 vermummte oder geschwärzte Gestalten zogen in einer finsteren Herbstnacht vor das Haus des Missetäters, riefen ihn unter ohrenbetäubendem Lärm zum Fenster, wo ihm unter bestimmten Formalitäten punktweise sein Sündenregister vorgehalten wurde. Nach jedem Punkte folgte die Frage an die Anwesenden, obs wahr sei, und nach der Bejahung wieder der übliche Lärm. Das ganze Standgericht dauerte ungefähr eine Viertelstunde.
Ein ähnliches Volksgericht, das meist bei einer allseits mißbilligten Ehe in Aktion trat, ist die Puchlmusik (pucheln — stampfen) in der Gegend von Ebbs und Kufstein. Den Schluß bildete die Anheftung des Sündenregisters an die Haustüre. Aehnlich ist das Peitschenknallen in der schwäbischen Alb, das sich gegen Ehemänner richtet, die ihr Weib im ersten Ehejahre prügeln, und ihm im Wiederholungsfälle eine Peitschenexekution androht.
In den obersten vier Gemeinden des Pinzgaues war noch 1894 am Vorabend von Martini der "Alperer" in Uebung. Mit den Bühlhörnern wurden die Leute zusammengerufen und zogen mit aller Art Viehglocken usw. nach Wald, wo um die Hagmoarschaft geranggelt wurde. Mittersill abwärts verband sich dieser Brauch mit dein "Böckabmieten", wo dem Einzelnen die Sünden vorgehalten wurden. Noch zu Hübners Zeiten war um Goldegg und Werfen das "Kühtreiben" gebräuchlich, eine Nachahmung eines Almabtriebes, wo im Zwiegespräch zwischen dem Führer und dem Melker eines Hofes, an dem vorübergezogen wurde, beim "Wassern" Gelegenheit zur Satire und Rüge war. In Steiermark wird ein unbeliebter Bauer dadurch gestraft, daß die "Ratschenbuben" bei ihrer Sammlung von Haus zu Haus seinen Hof meiden. In Embach wurde vor noch nicht allzulanger Zeit Bauern, die mit ihrer Feldarbeit aus eigener Schuld im Rückstand waren, am Feldrande ein "Speikmandl", eine Art Vogelscheuche mit dem Speikmandelbrief gesetzt, der die Vorkommnisse am Hofe und in der Nachbarschaft geißelte. Aehnlich rügten Unordnung im Hauswesen die in Salzburgs Umgebung zwischen Leopoldskron-Moos und Ursprung nachgewiesenen Bräuche in der Philippsnacht (vor dem 1. Mai), indem Hausrat wie Wägen. Pflüge, verschleppt, zerlegt und irgendwo anders an einem Dachfirst wieder zusammengesetzt werden. Auch andere Ulke werden bisweilen verübt.
Eine lange Stange, an die eine Medizinflasche gesteckt ist, bezeichnet noch lange die Stätte einer solchen Missetat. Auch die Brauttanzlieder (z. B. um Werfen), nach deren Strophen das Brautpaar tanzen muß, bieten Anlaß für Satire. Allbekannt ist schließlich der Faschingszug — besonders der von Maxglan nach Mülln bis in die 60er Jahre hatte eine gewisse Berühmtheit — wo sowohl die Standrede von den Wägen aus als auch der Faschingsbrief Gelegenheit für die Geißelung der Mitmenschen gab.
Quelle
- ANNO, Österreichische Alpine, Volks- und Gebirgs-Trachten-Zeitung, Ausgabe vom 15. August 1927, Seite 5