Die Festspielrede von Landeshauptfrau Karoline Edtstadler
Die Salzburger Festspiele bestehen seit 105 Jahren! Aus den Trümmern des 1. Weltkriegs als Friedensprojekt erwachsen, mit dem Ziel, humanistische Werte und den Dialog über kulturelle und politische Gräben hinweg zu fördern. Im 2. Weltkrieg von den Nazis auf ihren bornierten Kunstverstand reduziert; damals wurden jüdische Dirigenten, Sänger und Kritiker vertrieben, andere agierten nach dem Prinzip Anpassung. Die Kulturpolitik der amerikanischen Besatzer war der bewusste Versuch, wieder zu den Wurzeln - zur Verständigung durch Kunst - zurückzukehren;
Entnazifizierung, Integration amerikanischer Wertvorstellungen, Konkurrenzierung mit den Sowjets. In der Nachkriegszeit entwickelte sich Salzburg wieder zum Treffpunkt internationaler Künstler - ein Ort des Humanismus und der Menschlichkeit. Die Salzburger Festspiele sind Förderer junger Talente, haben die Finanzkrise mit 98,2% Auslastung und über 250.000 Besuchern aus 77 Ländern gut bewältigt; trotz verschärfter Compliance-Regelungen die Sponsoren gehalten; einer Pandemie standgehalten, Zuschauerrekorde und frenetischen Applaus geerntet und manch harsche Kritik weggesteckt; Die Salzburger Festspiele sind wesentliche Wirtschaftskraft für viele einheimische Betriebe, beliebt bei Einheimischen, bei Jung und Alt und resistent gegen plumpe politische Degradierungsversuche… die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.
Bildlich könnte man die Salzburger Festspiele mit einem Ozeandampfer vergleichen, der auf hoher See jedem Wetter trotzt, sich beharrlich seinen Weg bahnt, neue Häfen ansteuert, um Ideen und Strömungen aufzunehmen, sich anzupassen und doch stabil zu bleiben in Form und Gestalt, um so auch Orientierung zu geben. Gleichsam ein robustes, unerschütterliches Institut für Frieden, Menschlichkeit und Humanismus. Ein Gesamtkunstwerk, das versucht, Traumata aufzuarbeiten, Hoffnung zu geben und dennoch tagespolitisches Geschehen auszublenden. Eine Institution, in der mit Hilfe von Kunst Dinge verarbeitet, reflektiert, Visionen eröffnet und angenehme Stunden geschaffen werden. Für uns, das Publikum, zur Freude aber auch der Künstlerinnen und Künstler.
Für all jene, die mit an Bord sind, aber auch für all jene, die vom Ufer aus beobachten und sich daran freuen. Heute startet die gemeinsame Reise in einen spannenden Festspielsommer, heute ist der Auftakt in ein Programm, das helfen soll, zu verarbeiten. So jedenfalls verstehe ich es, wenn hier im Vorwort des Direktoriums wörtlich zu lesen ist: "Wie unter einem Brennglas verdichten sich in den Werken dieses Festspielsommers unsere Fragen, unsere Zweifel, unsere Einsamkeiten, unsere Ängste und lichtesten Hoffnungen (…)" Wir treffen dabei auf viele unterschiedliche Protagonistinnen und Protagonisten, praktisch allen ist gemein, dass sie kurz vor ihrem Ende stehen. Und diesem Ende begegnen sie unterschiedlich; Während sich die einen fürchten, inszenieren es die anderen triumphal oder rufen es sehnsüchtig herbei, einsam erwartend, im Fieber höchster Erregung oder Trost und Überwindung findend im Kosmos;
Und seit 105 Jahren begegnen wir auch heuer Jedermann, der vor den Toren des Salzburger Doms - reingewaschen von seinen Sünden - Erlösung und ewiges Leben erfährt. Gerade in einer sich veränderten, aufgewühlten Welt also der Versuch, mit der Endlichkeit umzugehen, den Stoff zu bearbeiten, aufzuarbeiten. In einer Zeit, in der eine Institution wie die Salzburger Festspiele Halt geben kann und das auch tut. Indem sie das tagespolitische Geschehen bewusst außen vor lässt und die großen Entwicklungen der Menschheitsgeschichte in den Mittelpunkt stellt. Das, worum es jeder Generation gegangen ist, das, worum es auch noch in 100 und 1000 Jahren gehen wird: leben und sterben, herrschen und siegen, Niederlagen verarbeiten und weiterkämpfen, Krankheit und Tod überwinden und weitermachen. Man könnte es auch in der Frage des kleinen Buben zusammenfassen: "Papa, warum werden wir eigentlich geboren, wenn wir dann wieder sterben müssen?"
Die Antwort darauf geben die Religionen, weil wir keinen dauerhaften Platz haben in dieser Welt, die Antwort darauf versuchen Philosophen zu geben, das reicht von der Furcht vor dem Nichts bis hin zur Akzeptanz als Teil des Lebenszyklus. Die schönsten Antworten darauf findet die Kunst, indem sie all diese Erklärungsversuche aufgreift und in Form von Musik, Tanz, Theater und Malerei für uns verarbeitet. Geben wir uns dieser Kunst hin, ohne schlechtes Gewissen, dass wir aus dem Wahnsinn des Alltags für ein paar Stunden ausbrechen, ohne Reue, weil wir sicher sein können, dass die inzwischen geschriebenen Schlagzeilen ohnehin schon wieder überholt sind. Geben wir uns hin, ohne zu vergessen, dass das Leiden, Sterben, Töten, Morden, dass Neid und Eifersucht schüren in der Zwischenzeit nicht pausieren. Geben wir uns hin, ohne zu vergessen, dass es an uns liegt, nach Stunden der Muße und des Genusses wieder gestärkt voll Tatendrang hinauszugehen in die Welt, um in unserem jeweiligen Bereich die Welt ein bisschen besser zu machen.
Die Gründerväter der EU, es waren tatsächlich hauptsächlich Männer, die Frauen wirkten lange im Verborgenen, hatten diese großen Gedanken. Sie wollten die Welt ein Stück weit besser, ein Stück weit friedlicher und ein Stück weit lebenswerter machen; eine Welt erschaffen, in der Krieg unmöglich werden sollte. Die Gründerväter der Salzburger Festspiele hatten denselben Gedanken, mit anderen Mitteln, sie wollten das Leben mit Kunst und Kultur erhellen und Brücken bauen. Die Vereinten Nationen haben die "Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" zum Ziel, Ähnliches gilt für den Europarat, beide mit einem besonderen Fokus auf die Menschenrechte. Gleichsam wichtige wie wohl unerreichbare Ziele und in Zeiten von Kriegen in Europa, im Nahen Osten und in der Welt wohl unmöglich. Die Liste von Organisationen und Einrichtungen, von Institutionen und Vereinigungen mit dem Ziel, die Welt zu einem besseren, zu einem friedlicheren Ort zu machen, ließe sich ebenfalls lange fortsetzen. Haben wir es geschafft?
Die Antwort ist wohl: Nein. Sind wir deshalb gescheitert? Wohl auch nicht, denn die Themen der Menschheit scheinen sich in einem unendlichen Kreislauf zu wiederholen. Wir stehen immer wieder auf dem Prüfstand, um daran zu wachsen, um zu lernen, damit wir immer und immer wieder versuchen, eine Antwort zu geben auf die Frage des kleinen Buben: "Papa, warum werden wir eigentlich geboren, wenn wir dann wieder sterben müssen" Das ist unsere Hölle auf Erden; Wir können unsere Zeit aber auch nützen und uns den Himmel auf Erden kreieren. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seien Sie alle herzlich willkommen in Salzburg und genießen Sie die Auszeit mit und bei den Salzburger Festspielen und gehen Sie gestärkt wieder hinaus in die Welt, damit wir gemeinsam an einer besseren Welt arbeiten. Vielen Dank
Podcast Jederspiele - Ein Blick hinter die Kulissen der Salzburger Festspiele
Schauspielerin Marie-Luise Stockinger über ihre Kindheit, ihre Rolle in "Die letzten Tage der Menschheit" und warum sie manchmal lieber offline statt online ist: