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Salzburger Festspiele: Rede von Andreas Babler im Wortlaut

Vizekanzler Andreas Babler im Festkakt zur Eröffnung der Salzburger Festspiele
Vizekanzler Andreas Babler im Festkakt zur Eröffnung der Salzburger Festspiele

Es erwarten uns dieses Jahr sehr hochkarätige und zugleich auch sehr düstere
Festspiele. Diesmal blickt nicht nur der Jedermann dem Tod ins Gesicht - in gewisser Weise tut es das ganze Programm. Das trifft den Nerv der Zeit.


Viele, vor allem junge Menschen, fühlen sich heute wie Becketts Malone, der sagt:
"Ich wurde in den Tod geboren." Andere gleichen Kassandra: Sie warnen, sie mahnen - doch kaum jemand hört zu.

Wir erleben diese Festspiele in einer Phase, die der Herr Bundespräsident in Bregenz
treffend "interessante Zeiten" genannt hat: Zeiten dichter Krisen, von Kriegen bis hin zu Katastrophen, und dem drohenden Kollaps unseres Planeten. Kein Wunder also, dass die Kunst heute oft berechtigterweise eher schwarzmalt, statt farbige Zukunftsbilder entstehen zu lassen.

Klassiker vermitteln uns Grundsätzliches


Doch die Werke, die wir sehen, leisten mehr, als bloß den Zeitgeist zu spiegeln.
Klassiker wie der Jedermann sind deshalb Klassiker, weil sie uns Grundsätzliches über
das Menschsein verraten: über Endlichkeit, Gier und Reue. Kunst kann - gerade in Krisenzeiten - unser Kompass sein. Sie kann uns beim Nachdenken über die Welt und beim Entwickeln von Lösungen helfen.


Niemand Geringeres als der in der Vorwoche traurigerweise verstorbene Claus
Peymann hat es einmal so formuliert: "Gute Kunst beschäftigt sich mit dem Auffinden von Wahrheit." Wir erkennen durch sie etwas über uns selbst und unser Leben in dieser so komplizierten Welt.

So können Anlässe wie hier in Salzburg zu Diskursräumen werden, und das schätze
ich sehr - die Festspiele als Orte echter gesellschaftspolitischer Debatte.

Verstehen, was den Menschen ausmacht

Während uns Klassiker der Hochkultur also einen Spiegel vorhalten und uns an ewige Konstanten erinnern, verraten uns Popkultur und Mainstream etwas über das Hier und Jetzt, über unser Lebensgefühl. Die Themenkonjunktur in Film und Musik ist ein Seismograf des Zeitgeists. Beides zusammen, die großen Werke und die klingenden Trends, sind zwei Seiten derselben Medaille.


Sie helfen uns zu verstehen, was den Menschen ausmacht und in welcher Welt wir
gerade leben - wohin sie sich bewegt. Und, naja, was soll ich sagen: Dieser Seismograf schlägt aktuell eher in die pessimistische Richtung aus - nicht nur hier in Salzburg. Das war nicht immer so.


In meiner Kindheit war die Zukunft ein verheißungsvoller Ort: Wir reisten mit Captain Kirk in ferne Galaxien und rasten mit fliegenden Autos durch die Zeit.
Zukunft bedeutete Vision, Abenteuer - sie war ein Versprechen. Heute - nur ein paar Jahrzehnte später - sieht das völlig anders aus.

In Streaming-Hits ist die Zukunft fast immer apokalyptisch


Die Streaming-Hits heißen Squid Game, The Last of Us, Game of Thrones. Wenn wir dort fremde Welten betreten, dann auf dem Pferd statt im Raumschiff - und die Zukunft ist fast immer apokalyptisch.


Was dabei auffällt: Die Ursache des Untergangs ist oft der Mensch, doch selbst nach
der Katastrophe haben wir unsere Verhaltensmuster nicht geändert: Gier.
Konkurrenz. Kurzsichtigkeit.


Um den Kulturwissenschaftler Mark Fisher sinngemäß zu zitieren: Es scheint leichter
zu sein, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende unserer Lebensweise.
Unsere Dystopien spiegeln also nicht nur Ängste, sie wurzeln tief in der Gegenwart.
Sie wurzeln im Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. In der Zerstörung des
Gaza-Streifens und dem unvorstellbaren Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung.
Im Aufstieg der Rechtsextremen und Autoritären.

Warum sind wir so pessimistisch?


Und auch, wenn die Wurzeln allzu klar sind, frage ich mich: Wann sind wir so
pessimistisch geworden? Und seit wann sind wir so resigniert, dass wir uns zwar den Untergang ausmalen, aber keinen Mut mehr finden, um von einer besseren Welt zu fabulieren?

Meine These: Der Bruch kam mit der Finanzkrise 2008. Damals wurde vielen klar, dass es nicht immer nur bergauf geht. Träume platzten - und manche hörten ganz auf zu träumen. Damit begann das große Versprechen der Nachkriegszeit zu bröckeln. Jenes Versprechen, an das meine Eltern noch glauben konnten. Sie arbeiteten beide hart, damit es mir als Arbeiterkind einmal besser gehen würde als
ihnen selbst.


Sie waren bereit, Opfer zu bringen, aus Liebe zu mir - und weil sie die Chancen sahen, die vor mir lagen. Und mit einer Politik die diesem Aufstieg auch den Rahmen gab. Damals hatte man das Gefühl: Es geht aufwärts. Heute versuchen viele nur noch, den Abstieg aufzuhalten.


Der Herr Bundespräsident hat in seiner Rede in Bregenz davon gesprochen, dass wir
zu einem Mindset finden müssen, das uns in die Zukunft führt. Dafür sollten wir die Welt zunächst so sehen, wie sie ist. Wenn wir das tun, stellen wir fest: Ja - es gibt Probleme, und es wird immer welche geben.

Erfolgsgeschichte Österreichs

Aber wir hatten noch nie so gute Voraussetzungen, sie zu lösen. Erinnern wir uns an die Erfolgsgeschichte Österreichs, die wir heuer - 70 Jahre nach dem Staatsvertrag von 1955 - feiern: Wer hätte damals gedacht, dass auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs eine der lebenswertesten Demokratien der Welt entstehen würde?


Lassen Sie mich deshalb realistisch auf die Probleme unserer Zeit und unsere
Möglichkeiten blicken. Ich komme zu dem optimistischen Schluss: Wir können das!
Wir können in einer besseren Welt leben. Sie wird nicht untergehen, wenn wir
gemeinsam handeln. Wir können der Klimakrise als drängendster Frage unserer Zeit entgegentreten, wenn wir der Wissenschaft folgen.

Auf den Dialog besinnen


Wir können auch Kriege beenden, wenn wir uns wieder auf den Dialog besinnen.
Wir können Österreich gerechter machen, damit hier wieder große Träume wachsen.
Denn Österreich ist ein großartiges Land - ein solidarisches zukunftsträchtiges Land,
mit guten Menschen, die aufeinander achten.

Wir müssen nur wieder an unsere Stärken glauben, entsprechend handeln und für ein Mehr an Gerechtigkeit sorgen. Auch hier weist uns die Kunst den Weg:
"Theater kontrolliert die Mächtigen, Theater spricht für die Ohnmächtigen."
Um noch ein zweites Peymann-Zitat zu bemühen - Sie werden es mir verzeihen,
wenn so ein großer Theatermacher von uns geht.


Denn wir dürfen den Fehler Trojas nicht wiederholen und die Kassandras unserer Zeit nicht ignorieren.


Lassen Sie uns auf die Wissenschaft hören - egal ob Forschende vor der Klimakrise
warnen oder Expertinnen und Experten auf die Gefahren neuer Technologien
hinweisen. Doch Hören allein reicht nicht: Wir müssen die Klimakrise stoppen - sonst werden die Dystopien, von denen ich vorhin gesprochen habe, wahr.


Künstliche Intelligenz wird unsere Arbeits- und Wirtschaftsweise kräftig
durcheinanderwirbeln. Aber Hand aufs Herz: Die alten Griechen hätten beim Anblick einer solchen "Wundermaschine" nicht um ihre Jobs gebangt, sondern sich über mehr Muße gefreut.


Entscheidend ist, dass wir kein trojanisches Pferd hereinlassen - wir müssen die
Geschenke der Technik kontrollieren und so gestalten, dass sie allen nützt. Die Möglichkeiten dazu haben wir.


Wir sollten auch eine Lehre aus dem Jedermann ziehen und uns fragen: Tun wir
wirklich das Richtige - oder jagen wir dem Mammon zu sehr hinterher? Wir sollten uns bewusst sein, dass am Ende nur unsere Taten zählen. Darum, geschätzte Festgemeinde: Lassen wir uns hier und heute und während der gesamten Festspielzeit inspirieren - und dann beharrlich handeln.


Denken wir darüber nach, wie wir Krisen meistern, wie wir mit Veränderungen
umgehen und wie wir das Aufstiegsversprechen Österreichs wieder wahrmachen
können.


Lassen Sie uns wieder gemeinsam träumen. Holen wir uns die Zukunft zurück.
Danke.

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