Ursprünglich für das Kunstforum gedacht
Bekanntlich war die Schau ursprünglich für das Bank Austria Kunstforum konzipiert, das am Standort Freyung seit dem Sommer jedoch Geschichte ist, worauf die Albertina als freudiger Kooperationspartner einsprang. "Für mich ist diese Ausstellung ein Glücksfall", unterstrich Generaldirektor Ralph Gleis bei der Präsentation am Donnerstag. Nun wirke das gesamte Ausstellungsjahr in der Albertina Modern, als sei man dramaturgisch bewusst auf diesen Höhepunkt zugesteuert.
Und ein Höhepunkt ist die prosaisch "Marina Abramović" betitelte Schau fraglos. Nachdem die Schau zuvor bereits in London, Amsterdam oder Zürich zu sehen gewesen war, wurde sie nun für Wien adaptiert. "Wir zeigen ein Best-of", umriss Kuratorin Bettina M. Busse das Konzept, das gesamte Œuvre der mittlerweile 78-jährigen Künstlerin zumindest exemplarisch zu beleuchten.
Ein langer Weg wird deutlich
Beginnend bei den frühen Arbeiten im Jugoslawien der 70er, über die gemeinsame Zeit mit dem mittlerweile verstorbenen Partner Ulay zum internationalen Durchbruch als Solokünstlerin nach der Trennung zieht sich der Überblick, der nach Überthemen wie Kommunismus, Körpergrenzen oder Erleuchtung gegliedert ist. Es wird der lange Weg deutlich, den Abramović gehen musste, um sich über ein halbes Jahrhundert hinweg den Status als Grande Dame der Performance zu erarbeiten.
Ein Schlüssel dafür ist mutmaßlich der Umstand, dass sich die zentralen Felder, an denen sich Abramović abarbeitete und dies noch heute tut, an Bedeutung kaum verloren haben. Der (weibliche) Körper, Meditation durch Erschöpfung, Transponierung von Zeit, der Umgang mit Gewalt und Geschlechterbildern - all dies hat über die Jahrzehnte hinweg seine Konnotationen verändert, nicht jedoch seine Wirkung. "Ihre Werke sind nach einem halben Jahrhundert immer noch relevant", zeigte sich Busse überzeugt.
Die stete Fortentwicklung
Zugleich hat sich die gebürtige Belgraderin nie auf ihren Lorbeeren ausgeruht, sondern sich stets weiterentwickelt, was die Retrospektive eindrücklich vermittelt. Dass dies überhaupt möglich ist, ist dem Umstand zu verdanken, dass von Abramovićs Performances nicht nur Derivate wie bei den Aktionen von Brus oder Schwarzkogler oder als Seitenprodukt entstandene Kunstwerke wie bei den Performances von Nitsch oder Beuys vorhanden sind. Die Künstlerin war stets darauf bedacht, ihr Werk durch detaillierte Dokumentation, konkrete Rudimente und die Möglichkeit der Reenactments, also der dezidierten Wiederholbarkeit, am Leben zu erhalten.
Entsprechend interaktiv konzipiert ist auch die Albertina-Schau, wenn die Körperinstallation "Imponderabilia" aus 1977 nachgestellt wird, bei der Abramović und Ulay nackt so eng im Eingang einer Galerie standen, dass sich Besucherinnen und Besucher an den entblößten Körpern hindurch Zugang verschaffen mussten. Die legendäre Schau "The Artist is Present" 2010 im New Yorker, als Abramović über drei Monate hinweg täglich Interessierten gegenüber saß und ihnen stumm in die Augen blickte, wird durch einen Videotunnel erfahrbar, auf dessen einer Seite die Künstlerin, auf der anderen die bewegten MoMa-Besucherinnen und -Besucher zu sehen sind.
Und die Aktion "Rhythm 0", als sich Abramović 1974 einen Tag lang in Neapel den Menschen in einer Galerie willenlos auslieferte, wofür diesen ein Tisch mit allerlei Utensilien vom Gürtel bis zur Waffe zur Verfügung stand, wird durch die Rekonstruktion eben jenes Tisches symbolisiert. Zu den neuesten Werken hingegen zählt "Portal" aus 2022, ein Lichttor, das an Nikola Tesla erinnert und in Wien durchschritten werden kann.
Die politische Künstlerin
Nebst den Fragen der menschlichen Körperlichkeit und des Daseins gilt für Abramović zugleich von Anfang an: "Sie ist auch eine sehr politische Künstlerin. Es geht nicht darum, nur zu provozieren", machte Gleis deutlich. Sinnbildlich hierfür steht fraglos "Balkan Baroque", als Abramović auf der Biennale von Venedig einen Haufen blutiger Knochen schrubbte - ein metaphorischer Reflex auf die Balkankriege, in Wien verkörpert durch den Knochenberg und Videoaufzeichnungen. Auch die frühe Arbeit "Lips of Thomas", bei der sie sich in der Wiener Galerie Krinzinger 1975 den Sowjetstern in den Bauch ritzte, schlägt in dieselbe Kerbe.
Nicht zuletzt spart man in der Albertina Modern auch nicht die zusehende Transformation der alternden Abramović zur Schamanin, zum Guru, aus, die mit der Entwicklung und Lehre ihrer "Abramović Method" das Erlernte an neue Generationen weitergibt. So können Gäste sich am Ende bei "Counting the Rice" an einem Tisch im Trennen von Reiskörnern und Linsen und somit in der Kontemplation üben.
Nichts Neues vom Kunstforum
"Ich freue mich, dass diese wichtige Ausstellung nicht abgesagt werden musste, sondern nun in Wien zu sehen ist", erinnerte Direktorin Ingried Brugger daran, dass die Schau durch das Schließen des Kunstforum-Standorts gefährdet war. Zur Zukunft der Institution Kunstforum und einem etwaigen neuen Ort gäbe es noch nichts Neues: "Wir arbeiten weiter daran. Wir werden zu einer Lösung kommen - aber es ist noch nicht pressereif."
Jetzt liege der Fokus ganz auf "Marina Abramović" in der Albertina Modern. "Es ist nicht irgendeine Ausstellung, sondern ganz etwas Besonderes", so Brugger. Und man möchte ihr nicht widersprechen.
(S E R V I C E - "Marina Abramović" in der Albertina Modern, Karlsplatz 5, 1010 Wien von 10. Oktober bis 1. März 2026. Von Samstag bis Dienstag bis 21 Uhr zusätzliche Öffnungszeiten. www.albertina.at/albertina-modern/ausstellungen/marina-abramovic/)