"Hochspannung" steht auf dem Schild neben dem Eingang zu Gesers Stadl. "Vorsicht Lebensgefahr" steht auch da. Ein Jeep steht da, ein paar Fahrräder. Ein Stück weiter hinten an der Wand hängt ein Bild. Lenin ist darauf zusehen. Es hängt über ein paar alten Sesseln. Die Sesseln schauen bequem aus. Bequemer jedenfalls als die Bierbänke auf denn man sitzt, um Daniel Schreiber zu zuhören im ersten Stock in dem Stadl in Andelsbuch. Tone und Renate Geser haben ihn zum Veranstaltungs- und Ausstellungsort umgebaut. Gleichsam in die Zukunft hinein umgestaltet haben sie das einstige Landwirtschaftsgebäude.
Daniel Schreiber spricht in diesem Stadl über "Zuhause". So heißt einer seiner drei Essaybände, die ihn ab 2014 zum Bestsellerautor machten. Die anderen beiden Bände heißen "Allein" und "Nüchtern". Auch über sie spricht er im Rahmen des FAQ Bregenzerwald. Das Gespräch über die Suche nach einem "Zuhause" beschreibt einen Grundton dieses Festivals.
In der Region, die einen außergewöhnlichen Weg zwischen Tradition und Zeitgenossenschaft geht, gleichen Schreibers Gedanken, wie man sich ein Zuhause erarbeiten muss, wie eine Steilvorlage für das "Gesellschaftsforum FAQ". Grund und Boden, Gefühl und Realität, Welt und Dorf, Welt im Dorf, Dorf als Welt, lebenswertes Zuhause und ideenreicher Aufbruch- darum kreist das FAQ-Forum, das ein Festival ist, das an 17 Orten der Region stattfindet.
Nach Schreibers Lesung geht es in einer anderen Veranstaltungen um den Umgang mit dem "Boden", um die Frage: "Warum nicht Platz für alle machen?". Da werden die Begriffe "Zuhause" oder Heimat" weniger als Gefühl eines Einzeln vermessen. Da geht es ums Geschäft, um kommunale Politik, die doch so eng mit aller Welt jenseits der Gemeindegrenzen konfrontiert ist. Es geht um die Herausforderung der Bodenverwaltung, wenn man das Gemeinwohl im Augen halten will, um die Wichtigkeit eines richtig guten Bodens, damit es Ertrag zum Leben gibt. "Wir haben eine Kulturlandschaft, die wir lebenswert erhalten müssen, auch im Hinblick auf nachfolgende Generationen", sagt Gerhard Beer, Bürgermeister der Gemeinde Hittisau in dem Talk im Werkraumhaus.
Auf einem hippen Sofa im Werkraumhaus steht der Schriftzug "The Evil Is Everywhere". In dem Haus - hell, funktionell, offen, bis in die letzte Nische der Toilette ohne jeden Ballast, ohne architektonische Spielerei - werden interessante Architekturbücher und Kunstbände verkauft. Es gibt Handwerkskunst und Spezialitäten aus der Region zu kaufen. An der Bar wird hervorragender Espresso serviert und süchtig machender Kuchen. Es fühlt sich an wie in einem großstädtischen Museum. Doch es schaut "das Land" bei den großen Fenstern herein.
Und drinnen geht es beim Gespräch um Zuzug, um den Druck auf den Wohnungsmarkt, um den Erhalt einer kleinstrukturierten Landwirtschaft, um die Verdichtung - des Bodens und der Interessen. Auf die Frage "Warum nicht Platz für alle machen?" Gibt es keine Antwort. Aber Architektin und Raumplanerin Geli Salzmann hat eine Idee: "Verdichtung muss mehr und mehr im Bestand erfolgen", sagt sie. Rund 1000 Bauernhäuser gibt es im Bregenzerwald. Viele stehen leer, werden nur mehr von ein oder zwei Personen bewohnt, sagt Biologin Ruth Swoboda, Leiterin des naturkundlichen Museums "innatura" in Dornbirn. "Und wenn wir ein paar Jahre nicht mehr bauen, dann ginge es uns auch nicht schlechter gehen", sagt Salzmann.
Draußen auf der Seite, wo des Werkraumhaus nur eine Gehsteigbreite von der Landstraße getrennt ist, schaut es nach Stadt aus. Auf der anderen sieht man durch die Glasfassade hölzerne Einfamilienhäuser, kleine Bauernhöfe, rundherum Gärten. Hinter den Häusern und hinter den Weiden ziehen die Wälder aus dem Tal die Hügel hinauf. Und dort oben finden dann die Freizeitheimatsucher beim Wandern und Biken und Bergsteigen eine vorübergehende, bestenfalls erholsame Zuflucht in einer leichtverkäuflichen Heimatkulisse.
Davon redet Daniel Schreiber in Gesers Stadl nicht. Als Schreiber beim Erzählen der Annäherung an ein "Zuhause" von der Flucht seiner Urgroßmutter erzählt, davon wie die biografische Vergangenheit nachwirkt, muss er kurz unterbrechen. Draußen rattert es. Ein Traktor fährt vorbei. Heimatarbeit draußen, drinnen ein Zuhause-Nachdenken. Schreiner stöbert in seiner Seele, in seiner Biografie, in seinen Schwächen. Das Vergangene, ein "provisorisches Leben", wie er sagt, das Zurückliegende und die Idee einer besseren Zukunft fließen zusammen. Mit dem Begriff "Heimat" hat er ein Problem, erzählt Schreiber im Gespräch mit Zita Bereuter. "Heimat" werde oft politisch missbraucht, als eine Beschreibung dafür "wie das Leben sein sollte", eingesetzt als "populär psychologische Plattitüden, die uns nicht weiterbringen". Da werde dann "so ein Bild verkauft mit einem geschwungenen Schriftzug und dahinter ein Rapsfeld". Blühende Rapsfelder? Da wird im Bregenzerwald gelacht. Naja, das sei halt so ein Heimatbild dort, wo er herkomme, sagt Schreiber entschuldigend. Er stammt aus dem Nordosten Deutschlands.
Nahe dem Eingang im Stadl der Gesers hängt eine Karte mit den Fischarten der Region. Daneben hängt eine Landkarte des Bregenzerwaldes. Nur an einem Nagel hängt sie noch. Der Osten der Region ist nach unten gerutscht. Wenn das Wasser nach unten rinnt, so wie es auf dieser schiefhängende Karte aussieht, dann rinnt die Bregenzer Ache nicht von der Ostflanke der Mohnenfluh oberhalb von Schröcken aus den Bergen durch das Tal und die Dörfer hinaus in den Bodensee und dann in den Rhein und dann in die Nordsee. Auf der verrutschten Karten rinnt Die Ache aus der weiten Welt in das Tal hinein.
