SN.AT / Kultur / Allgemein / Kultur

Frankreich streitet um Verleihidee des Teppichs von Bayeux

Es ist eine Art mittelalterlicher Comic, gestickt auf einem knapp 70 Meter langen Leinenstreifen: Der berühmte Wandteppich von Bayeux gilt als Meisterwerk, dessen Detailfülle einen seltenen Einblick in seine Entstehungszeit gibt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will die rund 950 Jahre alte Stickerei kommendes Jahr an Großbritannien ausleihen - was für eine Bahö unter Restauratoren sorgt, die fürchten, das wertvolle Stücke werde die Reise nicht unbeschadet überstehen.

Nach Frankreichs Plänen wandert der Wandteppich von Bayeux nach London
Nach Frankreichs Plänen wandert der Wandteppich von Bayeux nach London

Wandteppich zu empfindlich

"Der Wandteppich ist äußerst empfindlich", warnt etwa Aude Radosevic Mansouri, die 2020/2021 ein Team von sieben Restauratorinnen leitete, das den Zustand des Wandbehangs analysierte. Die zusammengenähten Stoffbahnen seien so dünn, dass man hindurchsehen könne. "Man möchte ihn gar nicht anfassen, weil man denkt, er könnte zerfallen", fügt sie hinzu.

Bis vor kurzem sahen dies auch offizielle Stellen so. So erklärte die regionale Kulturbehörde 2021, dass der als UNESCO-Welterbe gelistete Wandteppich "nicht transportfähig" sei, bevor er nicht restauriert worden sei. Die Restaurierung sollte ursprünglich 2025 beginnen, wurde aber auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Präfektur der Region Calvados postete vor wenigen Monaten noch ein Video, in dem erklärt wird, dass ein Transport über eine längere Strecke wegen der Vibrationen nicht angeraten sei.

Seit Macron bei seinem pompösen Staatsbesuch im Juli in Großbritannien die spektakuläre Leihgabe an das British Museum in London angekündigt hatte, wurde das Youtube-Video gelöscht. Die zuständigen Institutionen scheinen verstummt. Anfragen der AFP an die Präfektur, das Museum von Bayeux und die regionale Kulturbehörde blieben unbeantwortet.

London bewusst als Ziel gewählt

Macron hatte schon 2018 einen Austausch von Kulturgütern mit Großbritannien vereinbart, der den Wandteppich von Bayeux umfassen sollte. Es ist kein Zufall, dass das gute Stück ausgerechnet nach London ausgeliehen werden soll. Die gestickte Bildergeschichte schildert eine wichtige Episode in der Geschichte beider Länder, nämlich die Invasion des Königreichs England durch den Normannenherzog Wilhelm der Eroberer. Diese führte nach der Schlacht von Hastings 1066 - die letzte erhaltene Szene auf dem Wandteppich - zur Herrschaft der Normannen in England.

Macrons Angebot wurde damals als Teil einer Charmeoffensive gegenüber Großbritannien gedeutet. Paris wollte trotz der damals laufenden Brexit-Verhandlungen mit London im Gespräch bleiben. Zudem hatten sich beide Länder auf eine engere Zusammenarbeit mit Blick auf die Ärmelkanal-Migranten geeinigt. Großbritannien sagte damals neue Finanzhilfen zu, damit französische Behörden mehr Flüchtlinge an der Überquerung des Ärmelkanals hinderten.

Die erneute Zusage Macrons vor einigen Wochen dürfte auch in erster Linie diplomatische Gründe haben. Der französische Staatschef hat ein Interesse daran, dass beide Länder weiter eng zusammenarbeiten. Nach dem jüngsten Abkommen will Großbritannien Ärmelkanal-Migranten nach Frankreich deportieren und im Gegenzug eine entsprechende Anzahl von Migranten legal aufnehmen. Die ersten Migranten-Austausche dieser Art könnten bereits diese Woche beginnen.

Bayeux wird für Renovierung geschlossen

Möglicherweise spielen auch praktische Erwägungen eine Rolle: Das Museum von Bayeux musste ohnehin für eine Renovierung geschlossen werden, und der Wandteppich hätte eingelagert werden müssen. Eine Leihgabe nach London hat den Vorteil, dass Macron kulturdiplomatisches Kapital schlagen kann, ohne Frankreich einer seiner Sehenswürdigkeiten zu berauben.

Aus Sicht von Restauratoren ist ein mehrstündiger Transport jedoch nicht mit einer Einlagerung zu vergleichen. Es sei "schockierend", dass die Warnungen "aus diplomatischen Gründen abgewiesen" wurden, sagte ein Experte, der anonym bleiben wollte. Eine andere Expertin sprach mit Blick auf das Schweigen der Behörden von einer "Omertà", wie die Schweigepflicht bei der Mafia heißt.

Der Regierungsbeauftragte für dieses Vorhaben, Philippe Bélaval, zeigt sich jedoch zuversichtlich. "Meine Aufgabe ist es, zu überzeugen, dass der Wandteppich sicher transportiert werden kann", sagte er. Demnächst sollen bei einer Testfahrt Methoden ausprobiert werden, um Erschütterungen zu vermeiden. Die Restauratorin Radosevic Mansouri bleibt skeptisch und warnt: "Jeder Schaden wäre irreversibel."

KULTUR-NEWSLETTER

Jetzt anmelden und wöchentlich die wichtigsten Kulturmeldungen kompakt per E-Mail erhalten.

*) Eine Abbestellung ist jederzeit möglich, weitere Informationen dazu finden Sie hier.