"Heute gehen wir auf einen Ball in das Wiener Rathaus!", sagt Michael Lemeshko eindringlich in die Linse der Handykamera, während er im Simpsons-Pyjama seine Frühstückszerealien löffelt. Er stammt aus Russland und legte eine internationale Karriere als Physiker hin - mit Stationen in Harvard und am Berliner Max-Plank-Institut. Seit 2014 leitet der 35-jährige eine Forschungsgruppe am Institute of Science and Technology Austria in Klosterneuburg. Mit seinem YouTube-Kanal zeigt er 11.500 Followern den Alltag als Professor für Theoretische Physik.
Vorige Woche erlebte Lemeshko einen Ausnahmetag im Lockdown-Trott. Wie man in seinem Video mitverfolgt, treibt er im Eiltempo einen Smoking auf und fährt zu einem Ball ins Wiener Rathaus. Wie das geht? Statt dem Motto "Spaß mit Anstand - Tanz mit Haltung" gibt der Wiener Ball der Wissenschaften heuer die Parole "Spaß mit Abstand" aus. Der Organisator Oliver Lehmann gestaltet mit den Welterklärungskabarettisten "Science Busters" die 7. Ausgabe der Veranstaltung als Show. Sie findet im TV und online statt.
Auf die Bühne kommen Ballbotschafter wie Lemeshko, die Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher oder den Weltraumforscher Franz Kerschbaum. Es gibt zwar weder Fanfare noch Polonaise, aber die Show im Festsaal des Wiener Rathauses startet trotzdem musikalisch: "I love my friends and they love me / We're just as close as we can be / And just because we really care / Whatever we get, we share!", singt die Sopranistin Ann Wieben. Sie spielt ihre kabarettistische Karte aus und trällert humoristisch wie eine Infektion im Dominoeffekt von einem zum anderen wandert.
"I got it from Agnes", heißt das Lied von Tom Lehrer, der 1928 in New York geboren ist. Lehrer schrieb nicht nur Songs, sondern war auch Satiriker und Mathematiker. Ein ähnliches Doppeltalent sitzt an diesem Abend in Wien am Klavier: Der Portugiese Nuno Maulide ist Chemiker, Wissenschafter des Jahres 2018 und begeisterter Pianist. Wer keine Leidenschaft habe, etwas Neues zu entdecken, komme weder als Chemiker noch als Musiker weit, sagt er.
Den Swing bremst die Werbeeinschaltung von Michael Ludwig als erstem Showgast. Dann plaudert der Science-Busters-Mastermind Martin Puntigam - nicht "Putin-Gam" wie Lemeshko witzig anmerkt - mit den Forschern über 5G-Strahlen, die so gefährlich sind wie Seepferdchen und so schnell wie Faultiere. Ein trojanisches Pferd wird in ein Molekül geschleust, die Mikrowelle und die Radiowelle mittels Salatgurke verglichen.
Für Oberzaucher ist "Impfskeptiker" ein Propagandabegriff und Masern sind gefährlich, obwohl Kinderkrankheit so lieb und nett klingt, als käme die Infektion harmlos aus dem Überraschungsei. Miriam Unterlass erzählt von ihrer Neugierde für Chemie als junges Mädchen. Dank ihr wissen wir auch, dass man nur auf abgefischten, zugefrorenen Weihern gehen soll. Sonst weckt man die Karpfen nicht aus dem Winterschlaf.
Florian Freistetter, Astronom, Blogger und Podcaster erläutert lakonisch was passiert, wenn man sich ins Universum flüchten möchte: Wahrscheinlich landet man in diesem gewaltigen Nichts. Diese Leerräume seien noch langweiliger als Lockdown. Kommt man stattdessen in das Innere eines Sterns oder gar in einen Planeten, passiert mehr - denn dort ist es recht heiß. Ein paar Tausend Grad Celsius garantieren einen sehr kurzen Ausflug. Das Universum sei "scheiß lebensfeindlich". Es zahlt sich also aus, wenn wir uns mit dem Leben auf der Erde arrangieren.
Damit sich das Lied von der Infektionskette in der Realität nicht abspielt und sich alle am 8. Ball der Wiener Wissenschaften wie gewohnt auf der Tanzfläche amüsieren können, gibt es als Warnung "I got it from Agnes" auf Wienerisch zum Karaokesingen: "Ich hab's von der Agnes. Die Agnes hat's vom Tim. Und alle wissen ja Bescheid: Die Karla, die gibt's ihm. Die Karla hat's vom Harald und der von der Marie..."
Wissenschaftsball: 12. Februar, 21.30 Uhr, Stadtsender W24, unter www.wissenschaftsball.at sowie Social Media Kanälen des Wissenschaftsballs.