Auftauchen in der neuen Welt
Es ist nicht ganz einfach, den roten Faden dieses dicht verwobenen Abends auszumachen. Hosea Ratschiller stellt jedenfalls eine Figur auf die Bühne, die Hosea Ratschiller ziemlich ähnlich ist: gebürtiger Kärntner, 43, Vater dreier Kinder. Als solcher hat er sich - laut Selbsteinschätzung eher ein Mann des Mittelmaßes - stets bemüht, vieles richtig zu machen. Nun ist der Nachwuchs in einem Alter, wo er zumindest "24 Stunden ohne mich überleben" kann.
Ein Hoch auf den Sozialstaat
Zeit also, "nach 14 Jahren im Dienste der Vernunft" wieder teilzuhaben an der Welt da draußen. Nur ist die Welt inzwischen eine andere geworden - voller Tech-Milliardäre, Automatenshops und Investmentpunks. Da bleibt wenig Platz für das Soziale. Dabei ist es doch so: "Ich könnte mich selber gar nicht leisten. Dass sich dieser Körper zu der prachtvollen Blüte hat auswachsen können, wurde möglich, weil meine Mutter mich in den bestausgebauten Sozialstaat der Welt gepresst hat." Ein Hoch auf das Gemeinwohl also - und es wird nicht das letzte an diesem Programm gewesen sein.
Ratschiller, dreifach mit dem Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet, Gastgeber der TV-Mixed-Comedy-Show "Pratersterne" im ORF und als "Ombudsmann" auf FM4 zu hören, gehört nicht nur zu den profiliertesten Satirikern des Landes, sondern ist mit seiner feinsinnigen wie selbstironischen Verweigerungshaltung gegenüber allem, was mit zielstrebigem Welterklärertum zu tun hat, zweifelsohne auch einer der großen Sympathieträger der Kleinkunstszene.
In seinem inzwischen neunten Solo, mit dem er erstmals im großen Haus des Stadtsaals Premiere gefeiert hat, spielt Ratschiller seine bewährten Stärken aus. Nuanciert und pointiert ausgearbeitete Alltagsbeobachtungen werden Ausgangspunkte für gesellschaftliche Fragestellungen. Was sagt das über den Zeitgeist, wenn man der jüngsten Tochter im Supermarkt anbietet, sie dürfe sich eine Sache aussuchen, und die prompt meint: "Ich nehm' die Kasse."
Proteinmarmelade und Politik
Es geht um Leberkäse und Lebensweisheiten ("Korruption auf Basis von Vernunft - das ist Demokratie"), Knight Rider und smarte Haushaltsgeräte ("Wir sind sehr freundlich zu unserem Dosenöffner. Aber mit der Weltherrschaft wird es eh eng, weil bis der eine Dose offen hat, hat der Staubsauger schon seine Aufmarschpläne fertig."), Proteinmarmelade und Politik ("Einander helfen ist Widerstand, weil die Sabotage kommt jetzt von ganz oben."), Menschlichkeit und die Musks dieser Welt ("In meiner Kindheit gab es einen Milliardär - Dagobert Duck. Heute gibt es Tausende - und keine einzige Ente dabei.")
Ratschiller reißt eine Überfülle an Themen an und wechselt pausenlos zwischen Familienchaos - wer selbst mit Sprösslingen unter einem Dach wohnt, wird lauter lachen - und Zeitgeistanalyse. Und das ist auch ein bisschen das Problem. Denn bei so vielen geschlagenen Haken kann man schnell einmal aus dem Blick verlieren, wo es denn eigentlich hingehen soll. Es scheint zu viel reingestopft in diesen Abend, wodurch er etwas aus der Form gerät. Aber freuen darf man sich trotzdem auf reichlich satirische Glücksmomente. Was es mit dem "Happy Place" letztlich auf sich hat, sei hier nicht verraten. Aber es könnte sein, dass wir uns alle noch einmal zurücksehnen in einen herkömmlichen Supermarkt - als "Ort der Menschlichkeit".
(Von Thomas Rieder/APA)
(S E R V I C E - "Happy Place - Ein Glücksfall" von und mit Hosea Ratschiller. Regie: Petra Dobetsberger. Alle Termine unter https://www.hosearatschiller.at/)