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"Les Blancs" in Graz wirft Licht auf koloniale Spannungen

Sie eroberte als erste afroamerikanische Autorin den Broadway, gewann wichtige Auszeichnungen, doch heute ist Lorraine Hansberry (1930 - 1965) weitgehend in Vergessenheit geraten. Am Schauspielhaus Graz wurde am Freitag ihr Stück "Les Blancs" unter der Regie von MoMo Matsunyane erstmals in deutscher Sprache aufgeführt. Die spannungsgeladene Produktion verknüpft die Kolonialherrschaft in Afrika mit der Bürgerrechtsbewegung und dem afrikanischen Nationalismus.

Ensemble mit Musiker Seydou Traoré
Ensemble mit Musiker Seydou Traoré

Ein fiktionales afrikanisches Land am Vorabend eines Unabhängigkeitskrieges: Im Stück "Les Blancs" treffen drei Brüder, die unterschiedliche Haltungen zur weißen Kolonialherrschaft einnehmen, nach Jahren wieder aufeinander. Schauplatz der aufkommenden Unruhen ist eine medizinische Missionsstation. Im Mittelpunkt steht der schwarze Intellektuelle Tshembe (Bless Amada). Er lebt - mit europäischer Frau - mittlerweile als Geschäftsmann in London und kehrt zur Beerdigung seines Vaters in seine Heimat zurück.

Zerfall einer Familie

Bless Amada bringt den Geschäftsmann anfangs kraftvoll und unerschrocken auf die Bühne. Er wird jedoch zunehmend hin- und hergerissen zwischen seinem ruhigen europäischen Leben, den Unruhen auf der Missionsstation und dem sich anbahnenden Aufstand. Es tun sich zudem innerfamiliäre Auffassungsdifferenzen auf: Abioseh (eindringlich dargestellt von Leonhard Burkhardt), sein älterer Bruder, hat sich in der Zwischenzeit so sehr assimiliert, dass er sich zum katholischen Priester weihen lassen hat, was Tshembe als religiösen Verrat empfindet. Eric, der jüngste Bruder (Otiti Engelhardt), wurde nach einer Vergewaltigung seiner Mutter durch einen weißen Besatzer geboren und befindet sich im Konflikt mit sich selbst, seiner Familie und der Gesellschaft.

Gespaltene Gesellschaft

Im Verlauf des Stückes erleben die Zuseher den Zerfall einer Familie, eine gespaltene Gesellschaft und eine Kolonie am Rande eines Aufstands gegen die Herrschaft der Weißen. Es geht um Macht und Überlegenheitsdenken, Anpassung und Widerstand, Schmerz und Wut über die Unterdrückung. Erkennbar wird auch, wie sehr die Geschichte der schwarzen Nationen von den weißen Nationen geprägt wurde. Dem Publikum begegnen komplexe Charaktere mit spezifischen Weltanschauungen, die den Blick für unterschiedliche Standpunkte öffnen. In den Gesprächen, die der amerikanische - weiße - Journalist Charlie Morris (feinfühlig dargestellt von Dominik Puhl) führt, werden Vorurteile, Rechtfertigungsstrategien und Verdrängungsmechanismen sichtbar und nicht zuletzt wird die Frage aufgeworfen, ob man ohne Gewalt gegen Gewalt vorgehen muss oder gewaltsamer Widerstand die einzige verbleibende Option ist. "Ich habe allen Speeren abgeschworen", wird Tshembe mehrmals im Verlauf des Stückes sagen. Am Ende greift er doch zur Wurfwaffe.

Letztes Stück von Hansberry

Bei "Les Blancs" handelt es sich um das letzte, unvollendete Stück von Lorraine Hansberry, die bereits mit 35 Jahren an Krebs starb. Die amerikanische Uraufführung fand 1970, fünf Jahre nach ihrem Tod am Broadway statt. Die deutsche Erstaufführung des Stücks - in Kooperation mit dem steirischen herbst - wird von der jungen südafrikanischen Regisseurin MoMo Matsunyane (geb. 1988) geleitet. Ihr Regiestil ist ein analytischer, der mit schlichten Bildern darauf abzielt, über die messerscharfen Dialoge Denkprozesse über das Gesehene anzuregen und die verschiedenen Standpunkte deutlich werden zu lassen. Das Schauspiel wird mit Elementen afrikanischer Erzähltradition, Musik, Bewegung und Tanz verbunden. "Für mich ist wichtig, dass Afrika auf der Bühne lebendig wird. Musik und Tanz sind nicht nur Unterhaltung, sondern Träger von Erinnerung, Trauer und Protest", hielt Matsunyane im Vorfeld der Premiere fest.

Die Regisseurin hat für die Produktion die südafrikanische Choreografin Lulu Mlangeni mit nach Graz gebracht, die selbst als Figur der speertragenden "Woman" auf der Bühne steht und darin den afrikanischen Kontinent und den wachsenden Konflikt in Afrika und im Herzen des Protagonisten verkörpert. Dabei wird sie musikalisch von Seydou Traoré an der Djembe und dem Balafon begleitet. Leonhard Burkhardt (Abioseh) und Jean-Philippe Adabra als heimliches Mitglied einer Terrorgruppe und Bless Amada stehen als Gäste auf der Bühne des Grazer Schauspielhauses.

Schauplatz Missionsstation

Mirjam Alom Pleines hat das genial einfache Bühnenbild geschaffen, das in seiner kargen Ausformung mit ein paar Plastik- und ebenso vielen Holzsesseln auf einer schiefen Ebene dennoch ausreichend Projektionsfläche für den Ort der Handlung - die Missionsstation - bietet. Hier steht der Mensch im Vordergrund - verkörpert von einer Riege exzellenter Schauspieler, allen voran Bless Amada als Tshembe. Insgesamt überzeugte das ambitionierte Ensemble in dem Dialogdrama durch perfektes Zusammenspiel.

Die am Freitagabend mit viel Applaus sowohl für die Regisseure als auch das Ensemble bedachte Produktion stellte einen spannenden und zugleich intensiven Auftakt zur neuen Spielsaison im Grazer Schauspielhaus dar und ist zugleich eine Koproduktion mit dem steirischen herbst.

(Von Annemarie Happe)

(S E R V I C E - "Les Blancs" von Lorraine Hansberry, Regie: MoMo Matsunyane, Bühne & Kostüme: Mirjam Pleines, Choreografie: Lulu Mlangeni. Musiker: Seydou Traoré. Besetzung: Bless Amada, Dominik Puhl, Otiti Engelhardt, Leonhard Burkhardt, Olivia Grigolli, Tim Breyvogel, Jean-Philippe Adabra, Marielle Layher, Zeljko Marovic, Lulu Mlangeni, Grazer Schauspielhaus. Vorstellungen: 24., 25., 27. 9 sowie 1., 3., 14. 10 sowie 15 und 20.11.2025. https://schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com)

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