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"Pseudorama": Finsternis in der Volkstheater-Dunkelkammer

Als Hörspiel mit gelegentlichen Blitzlichteffekten präsentierte sich die zweite Premiere der neuen Direktion von Jan Philipp Gloger im Volkstheater Wien. "Pseudorama" heißt die neue Produktion des gefeierten Regieduos DARUM (Victoria Halper und Kai Krösche), dessen VR-Performance "[EOL]. End of Life" zum Berliner Theatertreffen eingeladen und im Fachblatt "Theater heute" zum "Video des Jahres" gekürt wurde. Passend zum Spielort Dunkelkammer wurde im Finstern gespielt.

Die im Dunkeln sieht man nicht: 'Pseudorama'
Die im Dunkeln sieht man nicht: 'Pseudorama'

Die überwiegend lichtlose Inszenierung will "eine zu 99 % analoge virtuelle Realität" beleuchten, wie der Untertitel verrät. Was darunter zu verstehen ist, erschließt sich im Text von Kai Krösche recht bald: Es geht um die Aufspaltung zwischen realer und eingebildeter Welt, die in der Corona-Pandemie in manchen Personengruppen überhand nahm. "Pseudorama" (die Kritik beruht auf einen Besuch der Generalprobe, Anm.) ist über weite Strecken der Monolog eines Mannes, der immer mehr in die Kreise von Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern hineinrutscht.

Konzentration auf eigene Bilder

Wie schon "Ostern" von Daniel Kehlmann in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt konfrontiert also auch "Pseudorama" mit einer gar nicht so lange vergangenen Zeit, an die sich kaum einer erinnern möchte, die aber gesellschaftlich und politisch nachhaltige Wirkungen hat. Und wie in der kabarettistischen Aufarbeitung Kehlmanns hält sich auch in der konzentriert-fokussierten Darstellung Krösches, bei der die Rechercheplattform "Dossier" mit Recherche und Faktenchecks beteiligt war, der Erkenntniswert in Grenzen.

Dass Stefan Suske in Unterhose agiert und Paula Nocker nicht nur mit gelegentlichen Kommentaren und Einwürfen, sondern auch mit dem Betätigen einer Lampe an der rund einstündigen Inszenierung beteiligt ist, kann man nur momentweise wahrnehmen. Diese Momente sind aber eher verwirrend als erhellend. Denn lenkt auf den lehnenlosen Bänken der schmerzende Rücken nicht mehr ab, und hat man das Sinnieren, warum vollständige Finsternis 1972 in Salzburg noch zum berühmten "Notlichtskandal" samt Aufführungsabsage führen konnte (Thomas Bernhard damals: "Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus."), ergebnislos beendet, muss man sich - irritiert durch gelegentliche Geräuscheinspielungen - zwangsläufig auf seine eigene Bilderproduktion konzentrieren.

Weihnachten ohne Familie

Was man dabei zu sehen bekommt, ist nicht erfreulich: Ein biederer, aber etwas schrulliger Bürger driftet ab, findet Anschluss bei obskuren Gleichgesinnten und wird seiner eigenen Familie entfremdet. Bitterer Höhepunkt: Als sich der Ungeimpfte am Heiligen Abend vor der Wohnungstür seiner Tochter weigert, einen Schnelltest zu machen, wird er abgewiesen und verbringt Weihnachten ohne Tochter und Enkelin. Eine Erfahrung, die niemand erfinden muss, weil sie damals Unzählige in der einen oder anderen Form gemacht haben. Was haben wir, was hat die Gesellschaft aus dieser Erfahrung gelernt? Die Antwort steht noch aus. Noch blinzeln wir wie die Zuschauer, weil das Licht wieder angegangen ist und uns blendet. Noch können wir das, was uns erwartet, nur schemenhaft erkennen.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - "Pseudorama. Eine zu 99 % analoge virtuelle Realität" von DARUM in Kooperation mit der Rechercheplattform DOSSIER, Idee, Konzept und Regie: Victoria Halper & Kai Krösche (DARUM), Text: Kai Krösche, Raum: Apollonia T. Bitzan. Mit Stefan Suske und Paula Nocker. Volkstheater, Dunkelkammer. Nächste Vorstellungen: 16., 19., 24., 29.9., www.volkstheater.at)

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