Fans der gepflegten Konvention hatten in den vergangenen Jahren ihre liebe Mühe mit den in Wien zu erlebenden "Sommernachtstraum"-Inszenierungen: Auf die blutrünstige Dekonstruktion von Leander Haußmann im Burgtheater im Jahr 2017 folgte ebendort sechs Jahre später Barbara Freys zivilisationskritische Deutung zwischen Autowracks und Industriecontainer. So nah am Athener Wald wie nun im Theater in der Josefstadt war zuletzt wohl nur Michael Schottenbergs Volkstheater-Abschiedsinszenierung vor zehn Jahren (mit einer grandiosen Erni Mangold als Puck). Entsprechend euphorisch geriet am Ende der zweieinhalb Stunden der Schlussapplaus.
Köpplinger setzt auf dicke Striche
Doch von Anfang an: Auf das eben noch angeklungene Elisabethanische Zeitalter musste man zunächst wieder verzichten. Im weißen, leger-eleganten Look der zeitgenössischen Neureichen bereiten sich Sandra Cervik und Michael Dangl als Theseus und Hippolyta betont lustlos in ihrem weißen Tempel (Bühne: Walter Vogelweider) auf ihre bevorstehende Hochzeit vor. Doch dann schneit Michael König als Egeus herein, um von Theseus ein Machtwort in Bezug auf die Partnerwahl seiner Tochter Hermia zu erbitten, die bekanntlich Demetrius heiraten soll, aber Lysander liebt. Hier gelingt Juliette Larat, die ihre Aufmüpfigkeit zuletzt auch in Lisa Wentz' "Azur" zur Schau gestellt hat, ein einnehmender erster Auftritt, als sie augenblicklich zu Boden fällt, als Theseus ihr die Wahl zwischen Tod und ewiger Abstinenz lässt.
Dank einiger kräftiger Striche, die gegen Ende des Abends immer dicker werden, findet man sich dank der Drehbühne sodann rasch im Umkleideraum der Handwerker, die erste Vorbereitungen für das geplante Theaterstück für die Hochzeit treffen. Die von Wolfgang Hübsch als Squenz angeführte Altherrenpartie nimmt das Publikum im Sturm, allen voran Robert Meyer als alle komödiantischen Register ziehender Zettel und Günter Franzmeier als von ängstlichem Nasenbluten heimgesuchter Schnock. Dann geht es endlich in den Wald, der sich zwischen Theseus' Tempel und der Handwerkerumkleide entfaltet und nicht nur mit einem überdimensionalen Vollmond und integrierten Sternen für ein fantastisches Setting sorgt, sondern auch mit zwischen dem bunten Laub schwebenden Neonstäben Akzente setzt.
Von der Leine gelassene Frivolität im Wald
Dangl und Cervik sind nun das sich zankende Elfenkönigspaar Oberon und Titania, und die Frivolität wird von der Leine gelassen. Während Oberon leicht abgerissen und zerstrubbelt seine perfiden Pläne schmiedet, gefällt sich Titania in schulterfreier Robe und spitzen Fingernägeln als Verführerin. Doch schon gehört der Raum wieder den jungen Liebenden. Während Melanie Hackl als liebestolle Helena mit dem Fahrrad (!) ihren angebeteten Demetrius (überfordert von so viel Zuneigung: Tobias Reinthaller) durch den Wald verfolgt, gibt sich Julian Valerio Rehrl als Lysander nur bedingt Mühe, sich der angebeteten Hermia gegenüber keusch zu verhalten (unterstrichen durch ostentatives Öffnen und zufälliges Verlieren der Hose). Nicht minder erotisch überdreht gibt sich Alexander Absenger als Puck mit Anflügen von ADHS, was in der einen oder anderen verzichtbaren expliziten Geste gipfelt.
Und so nimmt die Handlung rund um den perfiden Einsatz der Zauberblume ihren unweigerlichen Lauf: Lysander und Demetrius verfallen nach dem Erwachen der überraschten Helena, während Hermia entgeistert versucht, ihren Liebsten zurückzuerobern. Hier setzt Köpplinger weniger auf Worte (und Handlung), denn auf intergeschlechtliche Gruppen-Wrestling-Szenen, bevor die Proben der Handwerker zum unvermeidlichen Titania-Esel-Liebesakt überführt. Die aus dem Foyer bekannten Sängerinnen und Sänger garnieren die Szenen dabei immer wieder musikalisch.
All das geschieht in atemberaubenden 90 Minuten, bevor der vierte und fünfte Akt nach der Pause im Schnelldurchlauf in einer knappen halben Stunde abgespult werden, (fast) alle Verhältnisse wieder auf Null gesetzt werden und die Aufführung der Handwerkertruppe das Publikum zu Zwischenapplaus hinreißt, bevor dann recht abrupt der Vorhang fällt. Köpplinger hat einen pompösen, wenn auch deutlich verknappten Abend geschaffen, an dem die komödiantischen wie erotischen Highlights genüsslich durchexerziert werden. Ein perfekter Einstieg in den Silvesterabend, an dem gleich zwei Vorstellungen geplant sind.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Ein Sommernachtstraum" von William Shakespeare im Theater in der Josefstadt. Regie: Josef E. Köpplinger, Bühne: Walter Vogelweider, Kostüme: Alfred Mayerhofer, Musikalische Leitung: Jürgen Goriup, Regiemitarbeit und Choreografie: Ricarda Regina Ludigkeit. Mit u.a. Michael Dangl, Sandra Cervik, Alexander Absenger, Juliette Larat, Melanie Hackl, Tobias Reinthaller, Julian Valerio Rehrl, Robert Meyer und Günter Franzmeier. Weitere Termine: 21., 24. und 25. November, 13., 14., 22., 23., 27., 28., 29. und 31. Dezember. www.josefstadt.org)
(Quelle: APA)
