Von Radikalität keine Spur
Ein "Radikaler", ein "absoluter Punk", ein Mann am Abgrund, den Tod im Nacken: So liest Hartmann, der nun erstmals seit seinem unrühmlichen Abgang aus Wien wieder in der Bundeshauptstadt inszeniert, die Titelfigur Bruscon, wie er im Programmheft ausführt. Föttinger, der das Haus im Sommer nach 20 Jahren verlassen wird, hat mit dieser Lesart jedoch sichtlich Probleme. Zweieinhalb Stunden lang gibt er einen kauzigen, seltsam verhaltenen und so gar nicht radikalen Bruscon, der seine Familie zwar terrorisiert, aber schon lange nicht mehr zu ihr durchdringt. Das betonte Understatement unterstreicht man auch noch mit einem entstellenden Haarnetz, das der Schauspieler den ganzen Abend lang trägt. Für Föttinger schließt sich mit der Stückwahl ein Kreis, hat er in seiner ersten Saison im Jahr 2006 doch den "Theatermacher" erfolgreich mit Otto Schenk in der Titelrolle programmiert.
Bernhard habe mit dem 1985 von Claus Peymann bei den Salzburger Festspielen uraufgeführten "Theatermacher" ein Stück über Machtmissbrauch geschrieben, so Hartmann, und somit sei das Werk gewissermaßen aus der Zeit gefallen. "Heute ist das Pendel in die Gegenrichtung ausgeschlagen. Ständig schwebt über uns das Damoklesschwert der Political Correctness", so der 62-Jährige im Programmheft. Was das nun für diesen "Theatermacher" heißt? Eine schlüssige Antwort haben Hartmann und Föttinger nicht gefunden. Dieser Bruscon fühlt sich in seiner Haut nicht wohl, die Bösartigkeiten gegenüber seiner Frau und seinen Kindern setzt er mehr aus Gewohnheit denn aus brodelnder Wut, wodurch Bernhards Sprachgewalt zu verpuffen scheint.
Tanz am schwarzen Abgrund
Den gedachten Abgrund hat Bühnenbildner Volker Hintermeier in dem heruntergekommenen Tanzsaal des Gasthofs Schwarzer Hirsch in Utzbach (Geweihe an der Wand dürfen auch hier nicht fehlen!) bildlich umgesetzt: Ein Viertel der Bühne ist in tiefes Schwarz getaucht, der rechte Bühnenrand ist durch einen schwarzen Gaze-Vorhang abgetrennt. Hinter diesem gibt sich Silvia Meisterle als stumme Frau Bruscon immer wieder dem Ausdruckstanz hin, der sie bisweilen auch auf die Bühne führt.
Hartmann stülpt die innere Emigration dieser geprüften Ehefrau sozusagen nach außen. Larissa Fuchs gibt die verstörte, ihrem Vater aber bedingungslos dienende Tochter, Oliver Rosskopf gelingt mit Gipsarm und vielsagendem Mienenspiel so manch aufmüpfige Szene, während Martin Zauner als Wirt als bloßer Stichwortgeber hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.
Verzweiflungstanz im dichten Nebel
Und so verharrt der Abend 100 Minuten lang in einem kraftlosen Dazwischen, um nach der Pause mit einem radikalen Bruch zu verstören: Im dichten Nebel schließt sich die Familie im grellen Gegenlicht zu einem verschlungenen Verzweiflungstanz zusammen (Choreografie: Paul Blackman), bevor sie gemeinsam im Dunkel verschwindet. Schickt Hartmann diesen Theatermacher in die Versenkung? Es bleibt ein Rätsel.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Der Theatermacher" von Thomas Bernhard im Theater in der Josefstadt. Regie: Matthias Hartmann, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Su Bühler. Mit u.a. Herbert Föttinger, Silvia Meisterle, Oliver Rosskopf, Larissa Fuchs und Martin Zauner. Kommende Termine: 24., 25., 28. und 31. Oktober sowie am 4., 12., 13., 17. und 18. November. www.josefstadt.org)
