Äußerer Anlass dafür, dass "ein Erbe, das weitreichend die Gegenwart beeinflusst" (Wiens Kultur- und Wissenschaftsstadträtin Veronica Kaup-Hasler, SPÖ), in einer "total spannenden neuen Ausstellung" (Wien Museum-Chef Matti Bunzl) gewürdigt wird, sind zwei Gedenktage. Vor hundert Jahren wurde das Wiener Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum eröffnet, mit dem Neurath museumspädagogisches Neuland betrat. Und vor 80 Jahren starb der Nationalökonom und Pionier der Bildstatistik, der als Volksbildner im "Roten Wien" Wesentliches leistete und 1934 als Sozialdemokrat in die Niederlande und später vor den Nationalsozialisten unter abenteuerlichen Umständen nach England flüchtete.
Neuer Marie Neurath Preis für Datenvisualisierung
Kuratorin Susanne Winkler machte bei der Pressekonferenz am Mittwochvormittag darauf aufmerksam, dass Neurath nur rund zehn Jahre in Wien wirkte. Seinen weltweiten Siegeszug trat das von ihm entwickelte System einer der Wissensvermittlung dienenden Bildsprache erst im Exil an, wo der englische Begriff "Isotype" (International System of Typographic Picture Education) dafür erfunden wurde. Nicht nur die Ausstellungsmacher wollen auch die Arbeit von Marie Neurath (1898-1986), die nach dem Tod ihres Mannes nicht nur die gemeinsame Arbeit am Isotype-Institut bis 1971 alleine weiterführte, sondern sich auch mit illustrierten Kindersachbüchern an ein junges Publikum wendete, besonders hervorheben: Die Arbeiterkammer Wien schreibt erstmals den Marie Neurath Preis für Datenvisualisierung aus, der mit einem Hauptpreis von 3.000 Euro sowie zwei Anerkennungspreisen von je 1.000 Euro dotiert ist. Einreichschluss ist der 31. Jänner 2026, die Preisverleihung ist für 24. März im Rahmen der Finissage geplant.
Otto Neurath (1882-1945) habe drei vorrangige Ziele verfolgt, erläuterte Co-Kurator Günther Sandner, Autor von "Otto Neurath. Eine politische Biografie" (2014), der am Donnerstag im Veranstaltungssaal des Wien Museums auch eine "Wiener Vorlesung" mit dem Titel "Demokratisierung des Wissens - Isotype und Otto Neurath" hält: besserer Wissenszugang von bildungsfernen Schichten, die Integration des Prinzips der visuellen Bildung in die Pädagogik, sowie die Entwicklung einer Sprachen und Kulturen überwindenden international verständlichen Bildsprache. Die Geschichten, die vom Datenmaterial ausgehend erzählt werden können, sollten allgemein verständlich sein. "Wörter trennen, Bilder verbinden", lautete sein Motto.
Reste eines Bildwörterbuchs
Dafür arbeitete Neurath mit Künstlern wie dem Deutschen Gerd Arntz, dem Niederländer Peter Alma oder dem Tschechen Augustin Tschinkel zusammen. "Isotype war kein Kunstprojekt, sondern eines der Wissensvermittlung. Es wurden aber Künstler beauftragt", sagte Co-Kurator Werner Michael Schwarz, der sich darüber freute, dass dem Museum der Ankauf von einigen der wenigen noch erhaltenen originalen Bildtafeln Neuraths gelungen ist. Eine ganze Wand füllen etwa Tafeln des in den 1930er-Jahren entwickelten Bildwörterbuchs (von "Acker" bis "Zahnrad"), von dem heute nicht mehr klar ist, wie viele Bilder damals dazu insgesamt entwickelt wurden.
Sicher ist dagegen: Die damals erfundene Bildsprache ist heute noch gültig - und sie entwickelt sich weiter, wie an Barrierefreiheit-Piktogrammen gezeigt wird: Anfangs zeigten sie bloß einen Rollstuhl, heute signalisieren sie aktive, selbstbewusste Menschen mit speziellen Bedürfnissen. In einigen Beispielen illustriert die vom ersten umfassenden deutschsprachigen Standardwerk über Isotypie begleitete Ausstellung auch aktuelle Datenbestände. Eine von den Besucherinnen und Besuchern auch als Plakat mitnehmbare Grafik von Olaf Osten zeigt etwa anschaulich, was sich mit einer Reichensteuer alles finanzieren ließe. Eine andere Grafik hat auch Schwarz selbst verblüfft: "Dass von sechs Pflegekräften, die 2024 in Wien arbeiteten, nur eine das Wahlrecht hat, hab' ich nicht gewusst ..." Neben zahlreichen die Ausstellung begleitenden Workshops lädt auch ein Leuchttisch zur Mitarbeit ein: "Entwerfen Sie selbst ein Piktogramm!" Anregungen dafür bietet die Ausstellung zur Genüge.
(S E R V I C E - "Wissen für alle. ISOTYPE - die Bildsprache aus Wien", Ausstellung im Wien Museum Karlsplatz, 6. November 2025 bis 5. April 2026, Di, Mi, Fr 9-18 Uhr, Do 9-21 Uhr, Sa, So 10-18 Uhr. Katalog, erschienen im Hirmer Verlag, 400 Seiten, 45 Euro, ISBN 978-3-7774-4693-6; außerdem läuft bis 25. Jänner 2026 die Ausstellung: "Gesellschaft & Wirtschaft. Zeitgenössische Positionen zu Otto Neurath", Startgalerie, musa, Wien 1, Felderstraße 6-8, Di bis So, 10-18 Uhr)
(Quelle: APA)
