Starfotograf bespielt 6.000 Quadratmeter
In Remscheid belebt er ein Museum, in Paris schließt er den Reigen. Ein Geschenk, wie er sagt. Und doch: auch Herausforderung. Und nicht zuletzt eine Premiere. Denn Tillmans bespielt nicht etwa einen der üblichen Ausstellungsräume, sondern die leer geräumte Bibliothek des Kunst- und Kulturzentrums - eine monumentale Fläche von rund 6.000 Quadratmetern.
Dieser ungewöhnliche Ort ist kein Zufall: Bücher und Zeitungen gehören seit jeher zu Tillmans" zentralen Motiven und Inspirationsquellen. Die Ausstellung zeichnet fast 40 Jahre künstlerischen Schaffens nach und umfasst das gesamte Werk von Tillmans: Fotografie, Musik, Video und persönliches Archiv - frei von Chronologie, im Dialog mit dem Raum.
"Ich sehe keine Grenze, wie politisch Kunst sein darf"
Der Titel, der bis 22. September dauernden Werkschau: "Rien ne nous y préparait - Tout nous y préparait" (Nichts hat uns darauf vorbereitet - Alles hat uns darauf vorbereitet; englisch: Nothing could have prepared us - Everything could have prepared us). Das klingt wie eine nüchterne Diagnose der Gegenwart - und ist genau so gemeint.
Für den Künstler beschreibt er das Paradox unserer Zeit: dass viele Krisen, ob politisch, ökologisch oder gesellschaftlich, uns überraschen, obwohl sie absehbar waren. Man hätte manches voraussehen können - und wollte es vielleicht nicht, sagt Tillmans.
"Ich sehe keine Grenze, wie politisch Kunst sein darf", sagt Tillmans im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Für ihn ist das Private nie unpolitisch - und das Politische persönlich. Seine Werke wollen nicht belehren, sondern öffnen: zum Sehen und Nachdenken. Das zeigt sich in seinen Motiven - etwa russische Soldaten vor einem Dior-Geschäft, der innige Kuss zweier Männer oder die schwer gesicherte Grenze der USA zu Mexiko.
Ausstellungen auch in Remscheid und Dresden
Wer nicht bis nach Paris reisen will: Noch bis 4. Jänner 2026 sind im denkmalgerecht sanierten Haus Cleff in Remscheid auf 600 Quadratmetern Werke Tillmans aus mehreren Jahrzehnten zu sehen. Tillmans ließ sich einen Schlüssel für das Bürgerhaus im typischen Stil des Bergischen Lands geben und kuratierte selbst. 3.000 Besucher hätten in den ersten Wochen nach der Wiedereröffnung die Schau gesehen, berichtet Museumsleiterin Gisela Parak.
In seiner Geburtsstadt hat Tillmanns Arbeiter der Werkzeugindustrie porträtiert, die Remscheid zur Großstadt gemacht hat. Sie stehen dort nun genauso im Kontrast zu seinen Porträts von Kate Moss und Lady Gaga wie die Fotos der alten Werkshallen zu denen der Serverparks im Silicon Valley.
Nur noch bis 26. Juni ist Tillmans in Dresden zu sehen: Die mit "Weltraum" überschriebene Schau vereint dort rund 200 Fotografien und Videoarbeiten, darunter auch bisher nicht in einem Museum gezeigte Werke.
Tillmans gehört zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Gegenwart, gewann 2000 den Turner-Preis und ist Träger des Goslarer Kaiserrings. Zuletzt widmete ihm 2023 das MoMA (Museum of Modern Art) in New York eine große Ausstellung. Seine Bilder der Nacht- und Clubszene und von Berühmtheiten der Popkultur machten ihn bekannt.