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An manchen Museumsobjekten klebt Blut

Für den Umgang mit NS-Raubkunst hat die Internationale Gemeinschaft vereinbart, "gerechte und faire Lösungen" zu suchen. Auch für das koloniale Erbe wären solche Leitlinien wichtig.

Afrika hat ein reiches kulturelles Erbe. Hier zu sehen sind kunstvolle mittelalterliche Holztüren auf Sansibar, das zu Tansania gehört.
Afrika hat ein reiches kulturelles Erbe. Hier zu sehen sind kunstvolle mittelalterliche Holztüren auf Sansibar, das zu Tansania gehört.

Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, hat eine internationale Vereinbarung für den Umgang mit dem kolonialen Erbe in Museen und staatlichen Sammlungen angeregt. "Die Museen dürfen mit dieser schwierigen Frage nicht alleingelassen werden", sagte Parzinger. "Ähnlich wie beim Umgang mit NS-Raubgut sollte die internationale Gemeinschaft gemeinsame, verpflichtende Prinzipien verabschieden. Entscheidend wäre, einen Konsens mit den Herkunftsländern zu erreichen."

Nach dem Bekenntnis des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu fairen Beziehungen zwischen Europa und Afrika sieht Parzinger gute Chancen für einen solchen Vorstoß. "Die Unesco könnte dabei eine wichtige Rolle übernehmen. Sie ist durch den Austritt der USA zwar geschwächt, aber sie ist nach wie vor die von den Vereinten Nationen eingesetzte Organisation, die wichtige Fragen zum kulturellen Erbe der Menschheit erörtert und moderiert."

Ein erster Schritt könnte dem Stiftungschef zufolge eine internationale Konferenz auf europäischer Ebene sein. Auch Länder wie Großbritannien, Frankreich oder Spanien hätten durch ihre Geschichte als Kolonialmächte große Sammlungsbestände, die einer Auseinandersetzung bedürften.

"Es geht in der ganzen Debatte nicht zuvorderst um die Frage Rückgabe oder nicht", sagte der 58-Jährige. "Es ist eine moralische Verpflichtung, die Herkunft der Bestände zu klären und gemeinsam mit den Herkunftsgesellschaften darüber zu reden, wie wir diese Objekte ausstellen und was wir darüber erzählen."

Das Thema ist brisant

Das Thema hat für die Preußenstiftung besondere Brisanz, weil sie vom Jahr 2019 an ihre weltberühmten Sammlungen aus dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst im neuen Humboldt Forum im Berliner Schloss zeigen will. Die Stiftung, eine der größten Kulturinstitutionen weltweit, war in die Kritik geraten. Wissenschafter hatten ihr vorgeworfen, den Herkunftsfragen noch nicht ausreichend nachgegangen zu sein.

"Wir werden ins Humboldt Forum mit etwa 25.000 Objekten umziehen. Und wir werden von Anfang an alles offenlegen, was wir über ihre Geschichte wissen", versicherte Parzinger. "Aber für viele Stücke braucht es eine vertiefte, auf Jahre angelegte Erforschung. Wir sind uns mit der Politik einig, dass es für eine solche systematische Forschung zusätzliche finanzielle Mittel braucht, wie es sie ja für die Provenienzforschung der NS-Zeit schon länger gibt."

Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hatte zugesagt, mehr Geld bereitzustellen. Mit Unterstützung des von führenden deutschen Wirtschaftsunternehmen getragenen Kuratoriums läuft in der Stiftung bereits seit zwei Jahren ein Projekt, das ausgewählte Bestände aus dem heutigen Tansania, einem Teil des früheren Kolonialgebiets Deutsch-Ostafrika (1885-1918), untersucht.

"Wir wissen, dass das ein besonders problematischer Bestand ist", sagt Parzinger. "Allerdings ist die Behauptung falsch, ethnologische Objekte seien grundsätzlich unrechtmäßig erworben. Populismus bringt in dieser Debatte gar nichts. Umso wichtiger ist die genaue Analyse."

So arbeite man bei dem Ausstellungsmodul zu Deutsch-Ostafrika im Humboldt Forum bereits mit Kuratoren aus Tansania zusammen und entwickle dafür nachhaltige Strukturen, sagte der Präsident. "Das darf nicht ein Projekt für drei Jahre sein und dann fällt alles wieder in den alten Modus zurück. Wir brauchen eine dauerhafte Beschäftigung mit all diesen Fragen und Kulturen."

Die Debatte um die koloniale Vergangenheit ist heftig

"Ich will wissen, wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft." So drastisch formulierte die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy kürzlich ihre Erwartung, wie das geplante Humboldt Forum in Berlin mit seinem kolonialen Erbe umgehen soll. Sie löste damit eine heftige Debatte um ein dunkles Kapitel der deutschen Vergangenheit aus.

Das Humboldt Forum ist zwar das Vorzeigeprojekt der deutschen Museumslandschaft. Aber im Grunde beschreibt die Wissenschafterin mit ihrer Forderung recht genau, welche Mammutaufgabe auch auf sehr sehr viele andere Museen in Deutschland zukommt. Denn es gibt wohl kaum eine ethnologische, historische oder stadtgeschichtliche Sammlung, die von der heiklen Frage nach der Herkunft ihrer Kunstschätze nicht betroffen ist. Und die Forschung steht noch ganz am Anfang.

"Wir haben uns jahrzehntelang um die Aufarbeitung der Gräuel der NS-Zeit bemüht. Alles, was davor lag, ist völlig in den Hintergrund getreten", sagt Wiebke Ahrndt, Direktorin des Bremer Übersee-Museums und Vizepräsidentin des Deutschen Museumsbunds. "Aber in den letzten Jahren erleben wir einen großen Schub. Das Thema ist in unseren Museen angekommen. Sie wollen sich der Auseinandersetzung stellen."

Das von ihr geleitete Haus in Bremen gehört bundesweit zu den Vorreitern. Es setzt sich in zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungsformaten mit den Spuren der kolonialen Vergangenheit auseinander. Zusammen mit der Universität Hamburg läuft derzeit ein vierjähriges Forschungsprojekt, das die Geschichte der Bremer Afrika-Sammlungen klären soll.

"Wir kennen viele Gräuelgeschichten über Plünderungen, Strafexpeditionen und Raub während der Kolonialzeit. Aber wie der Handel lief, wie vieles auch legal erworben wurde, das ist noch ein riesiges Forschungsfeld", sagt Ahrndt.

Das Deutsche Historische Museum in Berlin untersuchte in der Schau "Deutscher Kolonialismus" die vielfältigen Herrschaftsbeziehungen, die von der Ausübung alltäglicher Gewalt bis hin zum Kolonialkrieg und Völkermord in Namibia reichten. Das Deutsche Reich gehörte von 1884 bis 1918 zu den großen europäischen Kolonialmächten - mit Besitztümern vor allem in Afrika und im Pazifik.

Die Museen können die Verantwortung nicht allein übernehmen

Nach Ansicht des Ethnologen Hansjörg Dilger dürfen die Sammlungen jedoch mit den immensen Herausforderungen der Aufarbeitung nicht alleingelassen werden. "Die Museen sind unter eine Art Pauschalverdacht geraten", warnt der Direktor des Instituts für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin. "Aber sie können die Verantwortung nicht allein schultern. Auch die Politik, die Bildungsinstitutionen, die Gesellschaft insgesamt - alle müssen bereit sein, sich diesem Teil unserer Vergangenheit zu stellen."

Wichtigste Forderung aller Experten ist dabei, die Herkunftsgesellschaften in die Debatte einzubeziehen. "Wir brauchen einen Dialog auf Augenhöhe", sagt Albert Gouaffo aus Kamerun, der sich seit langem mit dem Thema beschäftigt und sieben Jahre in Deutschland forschte. "Nur wenn wir ohne die üblichen Vorurteile von Tätern und Opfern über unsere gemeinsame Geschichte reden, können Wunden heilen, kann es auch wieder eine gemeinsame Zukunft geben."

Ein besonders sensibles Kapitel ist dabei der Umgang mit menschlichen Knochen und Skeletten, die oft als Kriegsbeute oder aus Grabplünderungen nach Deutschland kamen. Für viele indigene Völker hat jedoch die Beziehung zu ihren Vorfahren eine ganz andere kulturelle und religiöse Bedeutung als bei uns. Der Deutsche Museumsbund hat deshalb schon 2013 "Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen" erarbeitet.

Dass das Landesmuseum Hannover im Oktober die Gebeine einer vor 100 Jahren gestorbenen Australierin an die Aborigines zurückgab, gehört zu den positiven Folgen. "Heute gehst du nach Hause, deine ganze Familie wird auf dich aufpassen", sagte einer der Ältesten bei der Zeremonie.

Und auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin hat begonnen, zusammen mit Wissenschaftern aus Ruanda, Tansania und Burundi die Herkunft von etwa 1100 menschlichen Schädeln aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika zu erforschen, die um 1900 von Sammlern zusammengetragen wurden - Rückgabe nicht ausgeschlossen.

Es geht nicht immer nur um Rückgabe

Im kommenden Jahr will der Museumsbund vergleichbare Empfehlungen auch für andere Objekte herausgeben, die aus kolonialem Unrecht stammen können. Die Bremer Museumsdirektorin Ahrndt leitet die zuständige Arbeitsgruppe.

"Wir raten allen zu absoluter Transparenz gegenüber den Herkunftsländern und zu einem gleichberechtigten Dialog. Das schafft Vertrauen", sagt die Ethnologin. "Die Museen müssen sich dabei nicht um ihre Bestände sorgen. Außer bei menschlichen Überresten haben wir so gut wie keine Rückgabeforderungen."

Und wie reagiert nun das Humboldt Forum, an dem sich die Debatte in diesem Jahr so entzündete? Die Provenienzforschung gehöre zur DNA des geplanten Zentrums der Weltkulturen in Berlin, versicherten die Gründungsintendanten Neil MacGregor, Horst Bredekamp und Hermann Parzinger schon im Sommer.

Aber Parzinger, der als Chef der Preußenstiftung mit den ethnologischen Sammlungen den Löwenanteil der künftigen Ausstellungsobjekte beisteuert, räumt auch ein: "Für viele Stücke braucht es eine vertiefte, auf Jahre angelegte Erforschung. Wenn ich das mit der NS-Zeit vergleiche, sind wir da noch ganz am Anfang."

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KOMMENTARE (1)

Vivien Stein

"Aehnlich wie beim Umgang mit NS-Raubgut" - schön wär's! Doch ausgerechnet hier fühlt sich SPK-Präsident Parzinger zu Nichts verpflichtet. Seine Missachtung der Washingtoner Prinzipien im Fall "Sammlung Berggruen" ist ein Paradebeispiel an Verlogenheit im Umgang mit der deutschen Geschichte.
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