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Andre Heller - der Universalkünstler wird 70

Der Rabenhof würdigt ihn als "Gartenkünstler, Wunderrabbi und Pyrotechniker", sein Biograf Christian Seiler als "Poet der vielen Disziplinen", das österreichische Feuilleton kennt für Andre Heller - je nach Zeitpunkt in seiner mehr als fünf Jahrzehnte währenden Künstlerkarriere - auch noch zahlreiche weitere Attribute. Sänger, Schriftsteller, Impresario, Aktivist. Am 22. März wird er 70.

Andre Heller feiert seinen 70er.
Andre Heller feiert seinen 70er.

Zum Geburtstag hat sich Heller in seinen marokkanischen Paradiesgarten zurückgezogen, "Anima", das Gartenkunstwerk bei Marrakesch, eröffnete er im Vorjahr. Präsent ist er in seiner Geburtsstadt Wien aber rund um den Jubeltag dennoch nicht zu knapp. Nicht nur, weil im Rabenhof die literarisch-musikalische Revue "Holodrio" gespielt wird, eine Würdigung der vielfältigen Karriere Hellers zwischen Austropop und Zirkuskunst, sondern auch, weil neben der um die vergangenen fünf Jahre erweiterten Biografie (Christian Seiler: "Feuerkopf") noch eine weitere Publikation auf den Markt kommt: "Uhren gibt es nicht mehr", die zärtlichen und erstaunlichen Gespräche Hellers mit seiner 102 Jahre alten Mutter.

Auch in diesen Gesprächen ist oft von der großen Veränderung Hellers die Rede - vom sarkastischen Bürgerschreck und arroganten Selbstdarsteller zum herzensgebildeten Advokaten von multikulturellem Zusammenhalt und spiritueller Lebensweisheit. Geboren wurde er als Franz Andre Heller am 22. März 1947 als Sprössling einer Zuckerbäckerfamilie, die mit Zuckerln zu Vermögen kam, in Wien. Er begann seine künstlerische Laufbahn 1964 als Autor von Prosa, Lyrik und Liedern sowie ab 1965 als Schauspieler an Wiener Avantgarde-Bühnen. Er war Gründungsmitglied des Radiosenders Ö3 und betätigte sich als Autor für TV-Sendungen wie die legendäre Show "Wünsch dir was".

1968 kam die erste Platte Hellers heraus, der bis 1983 über ein Dutzend weiterer folgen sollte. Legendär sind seine Aufnahmen mit Schauspieler und Kabarettist Helmut Qualtinger. Bereits 1972 veröffentlichte Heller, der 1970-84 mit der Schauspielerin Erika Pluhar verheiratet war, mit dem Fernsehfilm "Wer war Andre Heller?" einen "Nachruf zu Lebzeiten", der bestenfalls eine erste Zwischenbilanz darstellte.

Denn nach dem Festwochen-Stück "King-Kong-King-Mayer-Mayer-Ling" (dem 1993 am Burgtheater das Stück "Sein und Schein" folgte) begann Hellers Showkarriere erst so richtig: 1976 gründete er gemeinsam mit Bernhard Paul den "Zirkus Roncalli". Die Uraufführung dieses "poetischen Spektakels" fand in Bonn statt, nach Differenzen mit Paul zog sich Heller allerdings noch im Gründungsjahr von dem Unternehmen zurück. 1981 verwirklichte er im Rahmen der Wiener Festwochen den zweiten Teil seiner "Trilogie der möglichen Wunder" in Form des "poetischen Varietes Flic Flac", mit dem er anschließend auf Europatournee ging.

Wunder wurden es allerdings noch viel mehr. Mit dem "Theater des Feuers" brachte er 1983 in Lissabon ein Millionenpublikum auf die Beine und sich selbst an den Rand des Ruins. Es folgten "Begnadete Körper", "Luna Luna" oder "Body and Soul", "Jagmandir, das exzentrische Privattheater des Maharana von Udaipur" oder die 50 Meter hohe Skulptur "Bamboo Man" im Hafen von Hongkong. Er sammelte "Stimmen Gottes" und Feuerkunst, Zigeunerkultur und Parkanlagen. Weder die Fantasie noch die Geografie scheinen Hellers Projekten Grenzen zu setzen, stets werden alle Sinne angesprochen, wirken Poesie und Exotik, Variete- und Jahrmarkt-Stimmung zusammen, werden verborgene oder vergessene Künste und die Macht des Staunens zusammengeführt.

1995 baute er im Auftrag des Tiroler Kristallherstellers Swarovski in Wattens Wunderkammern: Die märchenhaften und im Dezember 2003 erweiterten "Kristallwelten" wurden mit bis zu 720.000 jährlichen Besuchern einer der größten kommerziellen Erfolge Hellers. Mit dem Auftrag für die Inszenierung der finalen Präsentation Deutschlands als Bewerber für die Fußballweltmeisterschaft 2006 sowie die spätere Verantwortung für das Kulturprogramm der Fußball-WM erreichte Heller endgültig ein Millionenpublikum. Die geplante große Eröffnungsshow wurde allerdings kurzfristig abgesagt.

"Eine neue Dimension" des Erfolgs erklomm Heller mit "Afrika! Afrika!": das "magische Zirkusereignis vom Kontinent des Staunens" aus 2005 wurde zum erfolgreichsten Zirkustheater Europas und mehrfach erneuert und wieder aufgenommen. Weniger glücklich verlief Hellers Pferdeshow "Magnifico", deren Produktionsfirma wegen zu hoher Produktionskosten und zu geringem Publikumsinteresse schon nach kurzer Zeit Insolvenz anmelden musste.

Mit Missgriffen lernte Heller umzugehen. Seine zum 65 erschienene und nun erweiterte Biografie "Feuerkopf" erzählt von Medikamentenabhängigkeit, von tiefen gesundheitlichen Krisen und vom immer wieder neuen Aufrappeln - oft mit einem neuen künstlerischen Medium. Denn Heller war auch als Film- ("Im toten Winkel", "Scheitern, scheitern, besser scheitern!") und Opernregisseur ("Erwartung / La Voix Humaine" mit Jessye Norman im Pariser Theatre du Chatelet) tätig und suchte oft Zuflucht im Schreiben.

Seine autobiografische Prosa "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein" trägt die Altersmilde, die dem einstigen Rotzbuben heute manchmal hämisch angekreidet wird, geradezu im Titel und steht derzeit vor ihrer Verfilmung. Auch der zum Bestseller avancierte Roman "Das Buch vom Süden", dessen Protagonist Julian Passauer nicht wenige Merkmale mit seinem Autor teilt, gibt Einblicke in die inneren Kämpfe eines Unangepassten, der stets von großem materiellen wie kreativem Reichtum umgeben war, ohne damit jemals zufrieden sein zu können.

Heute gibt sich Heller, der sich politisch immer wieder für die SPÖ engagiert hat, und zuletzt im Präsidentschaftswahlkampf für Alexander van der Bellen eintrat, als Geläuterten. 2015 gründete er Act.Now, eine Initiative, die sich für wertschätzendes Zusammenleben in Zeiten von Migration und Globalisierung einsetzt. Neben der "Bürgermeisterkonferenz" veranstaltete man erst kürzlich ein "Manifest gegen Xenophobie" im Burgtheater, bei den Musik und Literatur aus den Herkunftsländern der aktuellen Flüchtlingsströme im Zentrum standen. Zugleich geriet Heller vor kurzem wegen des Bekanntwerdens seiner Schweizer Firmenkonstruktionen in die Schlagzeilen, über die einst Projekte abgewickelt wurden und die - laut Aussage von Heller-Anwalt Alfred J. Noll - mittlerweile als Vermögensverwaltungsgesellschaften fungieren.

Seine Wohnsitze in der Wiener Innenstadt und außerhalb Marrakeschs hat er durch Kunstwerke, Gärten und Kulinarik zu seinen persönlichen Rückzugsparadiesen designt. Die Vormittage nimmt er sich stets für sich, in seinen privaten Räumen. Der Rest seines Hauses ist oft voller Gäste aus Politik, Kunst und Familie. Da ist seine Lebensgefährtin Albina Bauer. Seine Ex-Partnerinnen wie Erika Pluhar oder Andrea Eckert, die immer noch eng mit ihm befreundet sind. Sein Sohn Ferdinand, dessen Karriere als DJ und Rapper Left Boy er aktiv begleitet. Seine Mutter, die er auch schon einmal in der Secession als Kunstwerk ausgestellt hat.

Trotz vieler autobiografisch inspirierter Arbeiten ist Heller eine richtige Autobiografie bisher schuldig geblieben. Pläne dafür gibt es längst. Sie solle die Form haben von einem "Brunnengott, der Geschichten sprudelt", sagte er einmal im APA-Interview. Vielleicht ist sie ja auch längst geschrieben. Denn "ob ich es zu meinen Lebzeiten publik mache, steht noch sehr in den Sternen".

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