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Rachel Whiteread gießt die Wirklichkeit in Skulpturen

Im Belvedere21 ist der Turner-Preisträgerin eine beeindruckende Retrospektive mit 66 Arbeiten aus 30 Jahren gewidmet.

Rachel Whiteread, Holocaust-Mahnmal, Judenplatz Wien. BELVEDERE/JOHANNES STOLL
Rachel Whiteread, Holocaust-Mahnmal, Judenplatz Wien. BELVEDERE/JOHANNES STOLL
Rachel Whiteread, Untitled (Room 101).
Rachel Whiteread, Untitled (Room 101).
Rachel Whiteread, Chicken Shead. BELVEDERE
Rachel Whiteread, Chicken Shead. BELVEDERE

Seit das Denkmal für die Opfer der Shoah auf dem Wiener Judenplatz steht, hat der Ort eine faszinierende Aura dazugewonnen. Rachel Whiteread gelang mit der nach innen gerichteten, hermetisch verschlossenen Bibliothek ein Geniestreich. Sie objektivierte quasi die Idee eines Raumes, die Verschlossenheit erzeugt eine Unheimlichkeit, die den Platz, wo schon im 15. Jahrhundert Juden ermordet worden sind, zu einer eindringlichen Stätte der Erinnerung werden lässt. Die minimalistische blockartige Skulptur ist naturgemäß nicht eingebunden in die große Retrospektive, welche das Belvedere der britischen Starkünstlerin ausrichtet. Im Belvedere21 gibt es zwar ein Modell und Zeichnungen zum Holocaust-Mahnmal, aber auch monumentale Skulpturen anderer Art. Denn Rachel Whiteread hat sich vielfach mit Architektur befasst und ganze Häuser, Räume oder ein Stiegenhaus als Abgüsse produziert. Zu sehen sind aber auch zahlreiche kleinere Skulpturen in unterschiedlichen Materialien, und fast jede hat eine erläuternde Geschichte zu erzählen, die meist biografisch eingefärbt ist.

Die Schau geht noch auf die Ära von Agnes Husslein zurück, Kurator Harald Krejci ist seit acht Jahren am Haus und war mit der Zusammenstellung einigermaßen herausgefordert. Der vorherige Schauplatz, die Tate Britain, hatte mehr Platz, nach Wien wandert die Ausstellung weiter nach Washington und Saint Louis, wie Stella Rollig bei der Presseführung ankündigte. Denn Rachel Whiteread ist weltweit gefragt. Die 1963 in London geborene Künstlerin gewann 1993 als erste Frau den renommierten Turner-Preis, sie vertrat Großbritannien 1997 bei der Biennale in Venedig.

Und nicht zu vergessen: 1996 gewann Rachel Whiteread anlässlich der damals von Claudio Abbado geprägten Osterfestspiele Salzburg den Prix Eliette von Karajan, wie vor ihr Herbert Brandl oder Damien Hirst. Angeblich gab es Unstimmigkeiten zwischen der Preisstifterin und der Jury rund um Harald Szeemann, der Preis wurde 1997 zum letzten Mal an Helmut Dorner verliehen.

Stella Rollig bezeichnet Rachel Whiteread als "eine der weltweit einflussreichsten Künstlerinnen unserer Zeit", für Diskussionen sorgte das Schaffen der Britin allemal. Berühmt wurde ihr "House", also der Abguss eines ganzen Hauses in einem Londoner Abrissbezirk, davon gibt es anschauliches Fotomaterial. Obwohl ihre Mutter Künstlerin gewesen sei, habe sie eigentlich "irgendetwas anderes" machen wollen, Sozialarbeiterin etwa, sagte Rachel Whiteread bei der Presseführung. Es wurde doch das Studium der Malerei, danach Bildhauerei. Als Materialien standen Gips, Beton, Kunstharz oder Gummi bald fest. Seit früher Zeit befasste sich Whiteread mit Wärmflaschen, zahlreiche andere biografische Ansätze finden sich ebenfalls. Da sind etwa Gipsquader gestapelt, die Abgüsse der Kartons sind, welche nach dem Tod der Mutter in deren Wohnung lagerten.

Das kolossale Zentrum der Ausstellung bildet der Abguss des Raumes 101 im ehemaligen BBC-Gebäude, der George Orwell als Folterkammer des Romans "1984" vorgeschwebt sein soll. Der Abguss eines Hühnerstalls fand auf Whitereads Wunsch Platz im Belvedere-Garten.

Ausstellung:Retrospektive Rachel Whiteread, Belvedere21, bis 29. Juli.

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