SN.AT / Kultur

Der ewige Dimpfelmoser raubt den Schlaf

Gut, dass Otfried Preußler seine Bücher vor dem Ausbruch hysterischer politischer Korrektheit und der Werbemanie schrieb.

Bernhard Flieher

Einer wie der Hotzenplotz hätte es schwer heute. Es würd’ ihn wohl gar nicht mehr geben. Immerhin trägt der Mann seine Waffen offen. Er raubt, betrügt, erpresst. Am helllichten Tag! Und ein bisserl stinken tut er auch. Noch dazu ist sein Opfer eine arme Großmutter.

So einer käme nicht mehr durch in der neuen Hysterie der politischen Korrektheit. Er würde seiner Waffen beraubt, seine Frechheit würde ihm gestohlen. Gefährlich oder abenteuerlustig sein steht auf dem Index der Hüter des Korrekten, die ihre Furcht und Überfürsorge gern "Vorsicht" nennen. Am stärksten trifft es die Schwächsten, denn bei der Wahl von Literatur für Kinder und Jugendliche wird besonders darauf geachtet, dass mit Samthandschuhen eine liebliche Wattewelt gebaut wird. Draußen herrschen derweil weit Ärgere als Hotzenplotz.

Dabei wird heute mehr denn je geballert und geschossen. Wenn ein Buch, zumal auf dem harten Feld der Kinder- und Jugendbücher, ein Erfolg, also ein kommerzieller, werden soll, werden ja Feldzüge riesigen Ausmaßes geführt. Aber halt nicht mit offensichtlichen Waffen, sondern mit gewaltiger Werbemacht.

Als Räuber Hotzenplotz, Zauberer Zwackelmann und Polizist Alois Dimpfelmoser vor 50 Jahren erschienen, war davon keine Rede. Deshalb konnten sie unsterblich werden. Sie hatten Zeit, sich zu Helden für Generationen zu entwickeln. Ihr Schöpfer Otfried Preußler, der am Montag starb, schrieb nicht mehr und nicht weniger als einfach gute Bücher.

Und man kann nicht genug davon kriegen. Das liegt einerseits an der Erinnerung an die Zeit, als man sie vorgelesen bekommen hat. Es liegt andererseits und vor allem daran, dass diese Erinnerung später beim Vorlesen immer wieder durch neue Entdeckungen aufgefrischt wurde. Noch beim zigten Lesen tauchen Kleinigkeiten auf, die einem zuvor entgangen sind. Die Sprache hat den idealen Rhythmus. Die Dramaturgie ist simpel, aber effektiv, wie das Abenteuergeschichten sein müssen. Das Timing variiert im rechten Ausmaß zwischen Aufregung und Entspannung.

Bei Literatur, wie sie Otfried Preußler geschaffen hat, ist nicht an Schlaf zu denken. Und damit nur niemand auf falsche Gedanken kommt: Schlaflosigkeit und drängende "Weiterlesen"-Bitten der Zuhörer beim Vorlesen wachsen nicht aus Furcht und Angst, sie kommen aus der unheimlichen Spannung, mit der einen ewige gute Geschichten am Leben halten.